Düstere Lektüre

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Das ganze Szenario in "Loney" von Andrew Michael Hurley ist für mich ungewöhnlich und seltsam. Eine kleine Gruppe englischer Katholiken fährt in den 1970'er Jahren auf eine Art Pilgerreise. Dabei benehmen sie sich fast sektenhaft - in jedem Fall extrem religiös. Ihr Quartier ist ein altes, geheimnisvolles Haus in The Loney, einem unwirtlichen, düsteren Landstrich Nordenglands. Mit dabei: der neue undurchschaubare Priester der Gemeinde und ein junger Mann - Bruder des Ich-Erzählers und zudem Vornamensvetter des Autors - mit einer unerklärten Krankheit oder Behinderung. Auch die Menschen, auf die die Pilgergruppe rund um ihr Quartier treffen, sind alles andere als normal.
Die Protagonisten scheinen an einander und der Situation aber weitestgehend nichts seltsames zu finden - gehen gleichzeitig aber auch nicht besonders freundlich/christlich miteinander um.
Der Ich-Erzähler behält, obwohl er seine eigenen Erinnerungen und Erlebnisse schildert, immer eine Distanz zum Geschehen.
Langsam baut sich so eine düstere, unheimliche Stimmung und eine gewisse Spannung auf - irgendetwas stimmt nicht, irgendetwas wird passieren oder ist schon passiert. Das Cover bildet diese Stimmung passend ab.

Sprachlich ist das ganze von Autor und Übersetzerin gut umgesetzt. Mich hat das Buch und die Erzählweise gefesselt.

Am Ende werden dem Leser nicht alle Fragen beantwortet und nicht alles, was passiert ist, wird aufgelöst. Vieles bleibt offen und somit Spekulation. Das Ende mag somit enttäuschen.
Es ist ein Buch, das polarisiert. Ich kann verstehen, dass manche Leser nichts damit anfangen können. Wer gerne handfestes, klares liest, dem wird dieses Buch vermutlich nicht gefallen.
Einerseits fehlen mir manche Informationen, andererseits ist diese Ungewissheit und Freiraum zur eigenen Interpretation auch ein Reiz des Buches. Wer einem ungewöhnlichen Roman, der sich kritisch mit extremer Religiosität beschäftigt, aber auch Thriller-, Gothic Novel- und Horror-Elemente beinhaltet und in dem die Stimmung vor der Handlung steht, eine Chance geben möchte, hat hier neuen Lesestoff gefunden.