Grauen? Welches Grauen?

Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern Leerer Stern
zebra Avatar

Von

Dem Cover nach hätte „Loney“ ein Thriller werden können – wurde es aber nicht. Dem vorwiegenden Thema nach ist es eine kritische Auseinandersetzung mit fanatischem Glauben – bezieht dazu aber zu wenig Position. Am ehesten ist es eine Familiengeschichte – aber irgendwie auch nicht, denn für eine Familie haben die Protagonisten zu viel Distanz zueinander. Auch die Handlung hilft nicht, zu entscheiden, was „Loney“ für ein Buch ist – ohnehin Handlung … die ist schnell erzählt, denn es gibt so gut wie keine:

Tontos Erzählung wird ausgelöst von der Entdeckung einer Babyleiche bei The Loney, einem irgendwie mystischen und doch nur unwirtlichen Ort an der nordenglischen Küste. In seiner Kindheit war Tonto immer an Ostern dort, mit seiner Familie und Mitgliedern der Kirchengemeinde. Offenbar war sein „Hanny“ genannter Bruder Andrew der Anlass, diesen Ort zu besuchen. In Minihäppchen verrät der Autor Details, die Düsteres ahnen lassen. Als die Kirchengemeinde einen neuen Pfarrer bekommt, fährt man nach längerer Pause nach The Loney, um den inzwischen fast erwachsenen Hanny von seiner Behinderung zu heilen. Doch ist Hanny überhaupt krank? Bis auf Andeutungen und die Tatsache, dass er seit seiner Geburt nicht gesprochen hat, erfährt man das nicht. Und eine Behinderung kann die Mutter, eine fanatisch Gläubige, nur als Strafe Gottes auffassen, der es mit geeigneten Mitteln zu begegnen gilt. Und welche Mittel geeignet sind, ist ihr offenbar ziemlich gleichgültig, Hauptsache der „Makel“ verschwindet. Man fragt sich, was passieren wird, um Hanny zum Sprechen zu bringen und warum er nicht spricht. Denn zu Beginn der Geschichte schreibt Tonto, dass er Hanny anrufen wollte, was bei einem stummen Gesprächspartner nur wenig Sinn ergäbe. In Begegnungen mit den Einheimischen wird die Gruppe verschiedentlich vor Orten und Personen gewarnt und es kommt zu seltsamen Vorkommnissen. Immer wieder springt Tonto in seiner Erzählung auch zum früheren Pfarrer der Kirche. Als die Gruppe ca. 100 Seiten vor Schluss zum „Schrein“ aufbricht, nimmt die Geschichte langsam Fahrt auf.

Wäre das gesamte Buch wie die letzten knapp 100 Seiten, wäre es vermutlich besser geworden. Seltsamerweise braucht man zwar viel von dem Erzählten, um die Geschichte zu verstehen, doch 250 Seiten dürften gereicht haben – ohne Verluste. Und auch wenn Hurley nicht schlecht schreibt, will einfach keine Spannung aufkommen. Er hält den Leser gerade eben so bei Laune, dass er sich durchkämpft, um zu verstehen, was der Autor erzählen will. Doch selbst das will am Ende in manchen Punkten nicht gelingen. Sicherlich denkt man mit Grauen darüber nach, wie diese Familie unter der „Behinderung“ eines Familienmitglieds leidet. Zu diesem Gefühl des Unwohlseins trägt auch bei, dass das Haus, in dem die Gruppe sich aufhält, einem Tierpräparator gehörte – und dessen versammelte Scheußlichkeiten mit Wonne beschrieben werden. Sicher gibt es kurze spannende Momente, doch eine im Klappentext versprochenene „meisterhafte Exkursion ins Grauen“ wäre nicht von so zähem Plätschern getragen.