Ein "leises" Drama

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solveig Avatar

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Wie reagiert ein Kind, wenn es in eine anscheinend ausweglose Situation gerät? Der 12jährige Théo, der als Kind geschiedener Eltern zwischen den unversöhnlichen Partnern steht, folgt dem Beispiel seines Vaters: er sucht Entspannung und Vergessen im Alkohol. Obwohl zermürbt von der ständigen, selbst auferlegten Verpflichtung, seine Eltern - besonders die Lebensweise seines Vaters – decken zu müssen, schafft er es dennoch nicht, sich einem Erwachsenen anzuvertrauen. Auch seiner Lehrerin Hélène gegenüber, deren eigene Kindheitserlebnisse sie für die Probleme ihrer Schüler sensibilisiert haben, kann er sich nicht öffnen. Steuert Théo einer Katastrophe entgegen?
Mit ihrer ruhigen, aber sehr intensiven Art zu erzählen trifft Delphine de Vigan ihre Leser im Innersten. Wie weit geht die Verpflichtung, einen Menschen, dem ich familiär oder freundschaftlich verbunden bin, durch Schweigen zu schützen? Wann kann oder muss ich mein Schweigen brechen? Die Schwierigkeiten, die sich aus dem Gefühl der Loyalität für andere ergeben, beleuchtet de Vigan eindrucksvoll aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Sachlich, ohne Sentimentalität, lässt sie einen kleinen Personenkreis selbst zu Wort kommen: zwei Kinder, Théo und seinen Freund Mathis, und zwei Erwachsene, ihre Lehrerin Hélène und Mathis´ Mutter Cécile. Den Dreh- und Angelpunkt bildet Théo; um ihn herum gruppieren sich die Episoden und Probleme der übrigen Figuren. Neben dem Thema Loyalität entsteht logischerweise auch die schwierige Frage: Wann und wie soll ein Außenstehender eingreifen?
Werden zumindest die Erwachsenen einen Weg finden, Théo zu helfen?
Ungeschminkt inszeniert Delphine de Vigan eines der „leisen Dramen“ in dieser Welt. Ihr neuer Roman hat mich stark beeindruckt und lässt mich nachdenklich zurück.