Berührendes Buch

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In dem Roman "Lügen über meine Mutter" von Daniela Dröscher wird in vier Kapiteln (1982-1986) die Kindheit aus der Sicht von Ela geschildert. In Zwischenkapiteln reflektiert die Autorin in der Gegenwart über die Vergangenheit und ordnet diese retrospektiv ein.

Sie wächst in einem Dorf in der Pfalz auf, ein ruhiges Kind, liest gerne, fleissig, pflichtbewusst, wenig Freunde, ausser Jessi.

Das Hauptthema der Familie ist das Gewicht der Mutter, welches den Vater stört. Die Mutter soll um jeden Preis abnehmen, der Vater kontrolliert dies akribisch, aber jegliche Art von Diät scheitert. Der Vater macht das Gewicht für alles verantwortlich, was ihn seiner Ansicht nach am Leben hindert, sein Aufstieg in der Firma, soziale Anerkennung im Dorf etc. Ela ist hin-und her gerissen zwischen der Liebe zu ihrer Mutter, aber auch der Scham, als sie über die Jahre die Reaktionen und Kommentare der Aussenwelt bemerkt.

Das Buch beschreibt ein soziales Milieu in den 80er und 90er in Westdeutschland, in dem ich das ein oder andere wiedererkannt habe. Das damals geltende Rollenbild, dass die Frau, jegliche Form der Care-Arbeit stemmt, angefangen von Kinderbetreuung, Haushalt und Pflege der Eltern. Seit 1977 durften Frauen ein eigenes Bankkonto haben, und die Mutter im Buch arbeitet auch, ist ehrgeizig, will sich weiterbilden. Und auch, dass man Lebensformen ausserhalb der damals geltenden Norm ablehnte.

Für mich liegt die grosse Stärke des Buches darin, dass die Figuren vielschichtig sind, gar widersprüchlich. Die Mutter, natürlich auf den ersten Blick Opfer des Vaters, und der Umstände, aber auch zu Beginn des Buches der Wunsch sich zu entwickeln und zum Beispiel ein Fremdsprachenstudium zu machen oder selbst Geld zu verdienen. Aber, auch das wird im Lauf des Buches klar, ist sie nicht frei von Fehler. Der Vater ist für mich nicht nur Täter, sondern auch gefangen in den sozialen Normen und in seinem Wunsch nach höherem zu streben, er lebt das Patriarchat, ist aber auch in gewisser Opfer desselbigen.

Auch bietet Tante Lu, die Schwester des Vaters einen interessanten, dramaturgischen Gegenpol, sie ist emanzipiert, lebt alleine, ist politisch dem linkem Spektrum zuzuordnen und redet der Mutter immer zu, sich nicht alles bieten zu lassen.

All das lässt sich flott und spannend lesen und bietet somit einen sehr lesenswerten Roman, der mich gefesselt und berührt hat.