Eine Millionen solcher Herzen

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constanze_pachner Avatar

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" 'Lügen über meine Mutter' erzählt von einer Kindheit, die beherrscht wird von der fixen Idee des Vaters, das Übergewicht seiner Frau wäre verantwortlich für alles, was ihm versagt bleibt. Und zugleich ist es eine Befragung des Geschehens durch die Tochter aus heutiger Perspektive?" (Klappentext)

Alles wird in diesem autofiktionalen Roman ausgezogen - voll ehrlicher Energie wird die Familie nach innen wie nach außen nackig gemacht. Wow!
Daniela Dröscher erzählt mit einer klaren, äußerst nüchternen Sprache, die sich robust gegen aufkeimende Gefühlswallungen stemmt, ohne dabei das Feingefühl für das Zwischenmenschliche zu vergessen.

Was passiert mit Kindern, die einem falschen, demütigend diskriminierenden Bild von der eigenen Mutter ausgesetzt sind, die ein in sich selbst gefangener Vater mit steigender Dosis in die Familie injiziert. Solche Spritzen in die Blutbahnen des Kindes lassen dessen Blut mutieren und den eigenen Blick auf die Mutter in die Katakomben seiner Gefäße verschwinden. Das Kind schaut auf die Mutter mit den Augen des Vaters. Wie findet man da raus, ohne ein liebendes Elternteil zu verschmähen? Auf diesen Weg nimmt die Autorin Leser*innen in einem beeindruckend selbstreflexiven Ton mit, der die Zwänge in unsere Gesellschaft beispielhaft auf die Schippe nimmt.
Mutiertes Blut bleibt unverrückbar verändert, dennoch bleibt die Möglichkeit anzunehmen, dass das Gute und Böse beider Elternteile nebeneinander in deinem Blut unaufgeregt, flatterfrei fließen dürfen. Ein wertfrei Verständnis suchender Blick auf all das, was war, ermöglicht den Ballast, der in die steckt, zu verlieren. Dann bleibt in Dir nur, was Dich ausmacht, was Dich nährt, was dich beschützt - nicht mehr und nicht weniger!

"Mit dieser Umarmung hatte es begonnen, dachte ich. Mit dem Gefühl, dass meine Mutter ihr gab, genauso wie mir: dass egal, was passiert und wie falsch alles zu sein scheint auf der Welt und den Menschen, alles schon wieder gut gehen würde." (438)

Was kann ein menschliches Herz mehr geben? Mehr braucht es von Jenen!

Ganz klar zurecht nominiert für den @buchpreis
2022 (Longlist)