Eine schmerzhafte, erhellende Lektüre

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katrinb Avatar

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Die Autorin berichtet in ihrem Buch über eine Kindheit in einem kleinen Dorf im Hunsrück. Im Zentrum des Romans steht die Mutter. Als „Eingeheiratete“ ist und bleibt sie innerhalb des Dorfes und der Familie eine Außenseiterin. Ihr – wohl aus Frust über ihre Situation entstandenes – Übergewicht sieht der Vater als Quelle seines generellen Misserfolgs an. Er nutzt keine Gelegenheit aus, sie zu demütigen, ihre beruflichen Ambitionen zu torpedieren und versucht, sie kleinzuhalten. Das Leben der Mutter ist davon geprägt, diese Erniedrigungen auszuhalten und sich trotz alledem etwas Würde zu bewahren.
Der Roman ist aus der Sicht der sechsjährigen Tochter Ela geschrieben. Jedem Kapitel folgt ein kurzer Teil, in dem die erwachsene Autorin die zuvor geschilderten Situationen reflektiert, kommentiert, analysiert und in der Rückschau bewertet.
Das Buch hat mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt. Der Schreibstil gefällt mir gut und trotz der deprimierenden Thematik musste ich mehrere Male schmunzeln. Obwohl ich nicht in den 1980er Jahren in einem Dorf im Hunsrück aufgewachsen bin, konnte ich mich sehr gut in die Lage der Ich-Erzählerin versetzen. Die Gedanken und Einstellungen sowie die geschilderten, die Frauen betreffenden Problematiken – ein falsches Schönheitsideal, Mehrfachbelastung durch Beruf und Familie, fehlende Anerkennung, die Unmöglichkeit zur Selbstverwirklichung und das Verharren in einer unglücklichen Ehe – sind auch heute noch aktuell.
Bei der Lektüre habe ich mich oft gefragt, wo die Grenzen zwischen Fiktion und Autobiographie liegen. Nun am Ende ist mir aufgegangen, dass diese Frage vielleicht vollkommen unerheblich ist. Auf die eine oder andere Weise kann sich vielleicht jede Frau mit den geschilderten Verhältnissen identifizieren.
„Lügen über meine Mutter“ war für mich über weite Strecken hinweg eine schmerzhafte, Augen öffnende Lektüre. Aber noch viel mehr ist das Buch eine Hommage an eine starke Frau, die sich trotz aller Widrigkeiten nicht unterkriegen lässt.