Eine Wut, die bleibt

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Ich kann mich nicht erinnern, jemals ein Buch gelesen zu haben, bei dem ich eine derartige Wut auf eine Person entwickelt habe, wie hier auf den Vater. Es fällt mir teilweise schwer, diese Wut in Worte zu fassen. Über Jahre tyrannisiert er seine Frau und damit letztendlich auch die Kinder. Die Geschichte spielt Anfang bis Mitte der Achtziger in einem kleinen Dorf in Rheinland-Pfalz. Die zu Beginn sechsjährige Ela lebt mit ihren Eltern in einer Wohnung im Haus der Großeltern väterlicherseits. Der Vater arbeitet in einem Ingenieurbüro, leidet unter Minderwertigkeitskomplexen, da er kein richtiger Ingenieur ist. Die Mutter ist Fremdsprachenkorrespondentin in einer Lederwarenfabrik, macht nebenbei noch ein Diplom in Französisch, um voranzukommen. Von Beginn an hakt der Vater auf der Mutter herum, besonders ihr zunehmendes Gewicht ist ihm ein Dorn im Auge. Sie jagt von einer Diät zur nächsten. Zwischendurch stellen sich kurz Erfolge ein, die aber kurz darauf immer ins Gegenteil umschlagen: je höher die Belastungen im Leben der Mutter werden (das zweite Kind, durch das sie ihren Beruf aufgeben muss, finanzielle Sorgen, das Pflegekind, die pflegebedürftige Großmutter etc), umso höher ist auch ihre Gewicht. Als wäre die Kritik des Vaters nicht schon schlimm genug, bringt er die Familie durch seine berufliche Unzufriedenheit und später seine Verschwendungssucht und Gönnerhaftigkeit weiter in Bedrängnis.
Zu Beginn der Geschichte waren mir sämtliche Erwachsenen in der Geschichte unsympathisch, auch die Mutter. Diese änderte sich im zweiten Teil, ab da hatte ich hauptsächlich Mitleid mit ihr. Sie ist zwar weiterhin nicht unfehlbar (was sich gerade zum Ende der Geschichte hin noch einmal zeigt), sie leistet aber auch unglaubliches.
Schon lange hat kein Buch mehr soviel in mir ausgelöst, wie dieses. Ich finde es ein unglaublich wichtiges Buch, denn ähnliche Zustände (wenn auch häufig in deutlich abgemilderter Form), finden sich noch in sehr vielen Familien. Oft sind es die Minderwertigkeitsgefühle eines Partners, die im Zusammenspiel mit dem anderen Partner, die*der natürlich auch nicht unfehlbar ist, eine toxische Mischung ergeben.
Ich hätte Lügen über meine Mutter sehr gerne als Gewinner des Deutschen Buchpreises gesehen.