Erklärungsversuche

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mangomarina Avatar

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Wie gern ich Lügen über meine Mutter gemocht hätte. Ich hatte mich lange auf die Geschichte gefreut und begeistert losgelesen, als ich es endlich in den Händen hatte. Der Anfang hat mir unheimlich gut gefallen, leider gings dann immer weiter bergab. Das Buch bietet ordentlich Gesprächsstoff und kann diskutiert werden. Womit ich aber überhaupt nicht einverstanden bin, ist die Vermarktung.

Aber erstmal zum Inhalt. Daniela Dröscher erzählt in Lügen über meine Mutter über das Aufwachsen in einer Familie, die auf Lügen, Druck und Verpflichtungsgefühl aufbaut. Ihre Mutter ist dick, ihr Vater ein Arschloch. Das Problem ist deutlich geworden?
Wie ein Tyrann unterdrückt der Vater seine Frau, kontrolliert und isoliert sie. Das Thema Gewicht zieht sich wie ein roter Faden durchs Buch, eine Diät löst die andere ab und die Zahlen auf der Waage wandern auf und ab. Zufrieden sind Danielas Eltern nie.
Ela, wie sie hier genannt wird, versucht währenddessen, den Familienfrieden wiederherzustellen. Sie übernimmt Verantwortung, die sie überhaupt nicht tragen kann. Sie steht zwischen den Stühlen und wird in Sachen hineingezogen, die sie nicht versteht.
Ihre Mutter lädt sich immer mehr Verantwortung auf, ihr Vater wird immer gereizter. Sie geht weiter unter.
Jahre später versucht sie zu verstehen, wie sie Aufgewachsen ist. Betrachtet Situationen neu, stellt sich Fragen, auf die sie manchmal Antworten findet.

Ich finde Elas Perspektive unheimlich spannend. Ein Kind, das in solchen Verhältnissen aufwächst. Verliebt und auch verunsichert von der sehr eigenen Mutter. Gleichzeitig ist da der respekteinflössende Vater, der sehr deutlich macht, wie eine Frau auszusehen und eine Familie zu sein hat. Die junge Ela schlägt sich oft auf die Seite des Vaters. urteilt über die Mutter, verpetzt sie.

Zwischen den Kapiteln äußert die erwachsene Daniela sich. Sie beschreibt weitestgehend neutral die Erkenntnisse, die sie über die letzten Jahre hatte und vieles hier hatte einen bitteren Beigeschmack für mich. Ich verstehe das Bedürfnis, die eigene Familiengeschichte aufarbeiten zu wollen, die eigene Mutter verstehen zu wollen. In meinen Augen hat das aber weniger funktioniert.

Oft hatte ich das Gefühl, dass sie im Nachhinein eine schuldige Person sucht und durch die Nähe bot sich die Mutter und natürlich umso mehr ihr Gewicht an. Anscheinend gab es Gespräche mit der Mutter, rückblickend stelle ich mir die Frage, ob es nicht vielleicht sogar die Entscheidung der Mutter war, vieles Verborgen zu lassen. Die Mutter, die hier so zentral thematisiert wird, bleibt in meinen Augen eher blass. Sie versteckt sich auch in dem Buch oft hinter ihrem Stolz, nutzt ihn als Schutzschild vor einer Welt, die sie nicht respektiert. Ihr Innerstes bleibt dadurch verborgen, vielleicht auch vor sich selbst.

Der letzte Satz der Buchbeschreibung ist “Vor allem aber ist dies ein tragik-komisches Buch über eine starke Frau, die nicht aufhört, für die Selbstbestimmung über ihr Leben zu kämpfen.” und das kann ich nicht ganz nachvollziehen. Nichts an dieser Geschichte ist komisch. Ein Mann, der seine Familie gegeneinander ausspielt, eine Frau, die sich nicht zur Wehr setzen kann und ein Kind, dass in seiner Überforderung zur Marionette wird. Na herzlichen Glückwunsch. 
Ich bin wirklich kein Fan davon, anderen Menschen Stärke abzusprechen, aber Elas Mutter ist wirklich kein Musterbeispiel für eine starke, emanzipierte Frau. Ihre Kämpfe sind mir weitestgehend entgangen. Die wenigen Situationen empfand ich eher als impulsive Handlungen einer überforderten Frau, die nicht Nein sagen und sich nicht aus ihren Mustern lösen kann. Eine wertvolle Perspektive, keine Frage. Aber ich vermisse dieses Heldenhafte, das beworben wird und vor allem das Verständnis der Erzählerin an einigen Stellen.

Natürlich gibt es solche Familien immer wieder und das ist verdammt tragisch. Ich verstehe teilweise, wo die Begeisterung für die Geschichte herkommt, kann sie aber absolut nicht teilen. Ich finde, die Autorin hätte sich mehr auf ihre eigene Perspektive konzentrieren sollen. Ihre Mutter hat sie in meinen Augen einfach nicht gut eingefangen und in ihrem Versuch neutral zu erzählen, hat sie ihren Vater in meinen Augen oft gedeckt, während sie ihre Mutter auch immer wieder sehr kritisch betrachtet.

So begeistert ich am Anfang war, es war irgendwann nur noch frustrierend zu lesen, wie diese Frau, die doch so stark und selbstbewusst sein soll, in einem Konstrukt gefangen bleibt, das sie krank macht. Auch die Story tritt dann irgendwann nur noch auf der Stelle. Es kommen immer neue Probleme, die Mutter probiert immer neue Diäten und dann ist das Buch irgendwann vorbei und ich hab nicht das Gefühl, irgendwas für mich draus mitgenommen zu haben, oder gut unterhalten worden zu sein.

Das Gewicht ihrer Mutter hat Danielas Leben sehr eingenommen. Es ist konsequent, das jetzt so in einem Buch einzufangen, keine Frage. Es erreicht mich einfach nicht. Natürlich freue ich mich aber für die Autorin, wenn sie ihre Antworten bekommen hat. Mir wäre es lieber gewesen, sie wäre mehr bei sich geblieben, aber das war wohl nicht die Funktion des Buches.

Ich verstehe aber auch, wo die Begeisterung für das Buch herkommt und bin froh, dass wohl nicht alle so frustriert nach dem Lesen waren. Hier muss sich wohl jeder sein eigenes Bild machen.