Familie in den 80er Jahren - Alles tanzt nach seiner Pfeife

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minijane Avatar

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„Es war wie im kalten Krieg, nur das ich nicht wusste, wer von beiden der Ostblock war.“



Ela, die kindliche Erzählerin des Romans steht zwischen den Fronten. Obwohl ihr Vater sich für einen Familienmenschen hält, sind die heimischen vier Wände sein Dauerkriegsschauplatz.

Dazu braucht es bei ihm keine Fäuste, der Psychoterror, mit dem er seine Frau überzieht, reicht aus, das Familienklima nachhaltig zu vergiften.

Immer wieder ist das Gewicht der Mutter Thema. Das Übergewicht seiner Frau zerstörte nach seinem Empfinden seine Karriere, da er keine vorzeigbare Gattin hatte. Er ging sogar so weit seine Frau regelmäßig vor seinen Augen auf die Waage zu zwingen.



Ein kleines Dorf im Hunsrück in den 80er Jahren, die Schwiegereltern im Haus, ein gesellschaftliches Umfeld, in dem die Frau die gesamte Care- Arbeit alleine wuppen musste und die, wenn der Hausherr es erlaubte, noch ein bisschen Geld dazuverdienen durfte, keinesfalls aber selbst Karriere machen sollte.. All das erscheint so rückständig und so furchtbar lange her, ist es aber nicht. Vieles an Zeithistorischem, was die Autorin in diesem autofiktionalen Roman schildert, weckt bei mir Erinnerungen. Ja es war wirklich so, und auf dem Dorf hielt sich das traditionelle patriarchalische Rollenbild der Nachkriegszeit noch ein bisschen länger als in der Stadt.

Ela‘s Mutter hatte über viele Jahre kaum eine Chance aus dieser Ehehölle auszubrechen. Die Sorge für andere (Kinder, Eltern, Schutzbefohlene) ließ sie stets eigene Bedürfnisse zurückstecken, sei es beruflich oder privat..Trotzdem unternahm sie immer mal wieder einen Fluchtversuch. Sie hatte aber keine nennenswerte Unterstützung gegen ihren tyrannischen Mann, weder durch die Schwiegereltern, sie sprach ja nicht mal Dialekt, noch durch ihre eigene Familie, die den Schwiegersohn nicht mochte, aber wie in dem verhassten Sprichwort „Wie man sich bettet so liegt man“, sollte sie schön alleine klarkommen.

Die Autorin, Daniela Dröscher hat ihre Protagonistin Ela nicht nur mit ihrem kindlichen Blick, zu Beginn des Buches ist sie erst 6 Jahre alt, auf dieses Ehedrama schauen lassen. Auch die erwachsene Ela kommt hin und wieder reflektierend zu Wort. Das fand ich ziemlich schlau, denn ein Kind kann kaum durchschauen, wie armselig das Verhalten des Vaters eigentlich war, wie er seine Frau zum ewigen Sündenbock machte, um die eigene Unzufriedenheit und die eigenen Unzulönglichkeiten zu verdecken. Für die kindliche Ela war der Vater trotz allem immer noch eine wichtige Bezugsperson, genau wie die Mutter deren beider Liebe sie bedurfte. Sie hätte es am liebsten gehabt , wenn die Eltern nicht mehr gestritten hätten. Als Kind sitzt man halt zwischen allen Stühlen. Ela‘s Mutter ist komplett überfordert und so kann sie ihrer Mutterrolle auch oft nicht gerecht werden. In gewisser Weise ist das Aufschreiben der Geschichte für die Autorin also auch eine Art Therapie, ihre Kindheit aufzuarbeiten.

Ich muss zugeben, Ela‘s Vater hat mich zunehmend aggressiv werden lassen. Wie schamlos er seine Frau den ganzen Tag schuften ließ, um dann auf dem Tennisplatz zu verschwinden. Im Geld aus dem Fenster schmeißen, dass seine Frau erwirtschaftet bzw. geerbt hatte, war er auch ganz groß. Hauptsache man machte nach außen hin etwas her und hatte Statussymbole, die widerspiegelten, dass man den Aufstieg von der Arbeiterklasse in die Mittelklasse geschafft hatte.

Sprachlich ist der Roman schon aufgrund seiner sehr jungen Erzählerin recht einfach gehalten. Er lässt sich aber flüssig lesen und war auch als Hörbuch überzeugend. Mir gefiel dieses 80er Jahre Feeling, dass in mir Erinnerungen an meine eigene Jugend wachgerufen hat. Das Buch ist eine tolle Sozialstudie dieser Zeit. Die Figuren wirkten auf mich sehr authentisch. Tragisch ist tatsächlich, dass die Mutter und auch die Kinder jahrelang in dieser toxische Beziehung gefangen waren. Ob ihre Erbschaft die Mutter wirklich finanziell unabhängig gemacht hat, kann ich nicht beurteilen. Hatte sie denn tatsächlich die volle Verfügungsgewalt über ihr Geld? Ich denke sie hat ihr Möglichstes getan. Es hat zwar sehr lange gedauert, aber letztendlich hat sie sich ja doch noch emanzipieren können und ist nicht in ihrer Opferrolle verblieben.

Ich finde den Roman empfehlenswert . Er bietet einiges an Diskussionsstoff und könnte für mehr Verständnis gegenüber der älteren Generation sorgen.