Weit mehr als nur eine Familiengeschichte

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mike nelson Avatar

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Mehr als nur eine Familiengeschichte ist Daniela Dröschers neuer und für den Deutschen Buchpreis nominierter Roman "Lügen über meine Mutter" allemal. Die Autorin setzt den Roman in der Gegenwart an - das Gespräch mit der Mutter, die Absicht verkündend, ein Buch über die Familie zu schreiben und die Reflexion der Jahre 1983 bis 1986. Dies sind die kurz gehaltenen aber aufschlussreichen Einschübe, die dem eigentlichen Text, der Geschichte über die Familie aus der Tochterperspektive, einen Rahmen geben. Die Geschichte selbst ist ein großartig angelegter Entschlüsselungsversuch: Die Frage, warum die Entwicklungen in ihrer Familie genau diesen Verlauf genommen haben und das auf dem Hintergrund einer hunsrücker Dorfgemeinschaft in der Mitte der 80-er Jahre. Was war offensichtlich und für sie aus der Tochterperspektive zwar beobachtbar, aber damit noch lange nicht verstehbar? Was waren Auslöser und Verursachungen der Abwärtsdynamik dieser Familie? Und was waren die Geheimnisse ihrer Familie? So heißt es schon auf der ersten Seite: "So wie jeder Mensch drei Leben hat. Ein öffentliches, ein privates und ein geheimes." Da ist der Vater, der empor kommen möchte aber immer wieder scheitert und das Dicksein der Mutter verantwortlich macht, das eigene Leben nicht kontrollieren kann, aber glaubt, Kontrolle über seine Ehefrau ausüben zu können. Da ist die in ihrer Ehe unglückliche Mutter und schließlich die erzählende Tochter, zerrissen zwischen ihren Eltern. Und die späte Klärung durch das Schreiben. So fragt sich Daniela Dröscher gegen Ende des Buches - als die Geschichte schon fast zuende erzählt ist - in einem Dialog mit sich selbst: "Ist es wirklich notwendig, darüber zu schreiben? Ja. Kann Literatur einen retten? Vielleicht. Weil einen Literatur Dinge verstehen lässt, die man vorher nicht verstanden hat? Ja." Ein intimes und großartiges Buch. Danke, dass ich teihaben durfte.