Psychologischer Spannungsroman

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marionhh Avatar

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Michaela Michalsen ist Mitte 30 und könnte wunschlos glücklich sein, denn sie hat eine nette Familie und lebt in einem Häuschen im Grünen. An ihrem Geburtstag jedoch passiert etwas Merkwürdiges: Ihr Mann David behauptet, dass er sie nicht mehr liebt und streitet das ganze Gespräch später ab. An ein mit der Lehrerin ihrer Tochter Karla geführtes Telefongespräch kann sie sich später nicht mehr erinnern. Ihre beste Freundin Bea scheint sich ebenfalls nicht zu melden. Michaela gerät in Panik: Treten etwa ihre Gedächtnisaussetzer wieder auf, die sie vor Jahren bereits schon einmal hatte? Verzweifelt versucht sie sich zu erinnern, was an ihrem Geburtstag geschah, und als sie zufällig auf eine Jobanzeige als Haus- und Hundesitterin stößt, beschließt sie spontan sich zu bewerben, um ihre Gedanken zu sortieren. Sie bekommt den Job und setzt sich dabei gegen Konkurrentin Lena, eine junge Herumtreiberin, durch.

Trotz der Tatsache, dass ihr Mann David und Ihre Freundin Bea ihr stark zusetzen zurück zu kommen und in Therapie zu gehen, harrt Michaela aus. Als Lena durchnässt und halb verhungert vor ihrer Tür steht, kann sie sie nicht abweisen. Sie lässt sie in der fremden Wohnung mit wohnen, und die beiden Frauen freunden sich an. Nach einem Anschlag mit zerbrochener Scheibe flüchtet Lena und kommt – durch ein Missverständnis und ohne Michaelas Wissen - bei David und Karla unter. Michaela harrt derweil weiter aus und versucht klar im Kopf zu werden. Bald jedoch eskalieren die Ereignisse, und Lena versucht herauszufinden, was eigentlich los ist in dieser Familie.

Sehr gut zu lesende und flüssig geschriebene Mischung aus psychologischem Spannungsroman und Beziehungsdrama! Anfangs erinnerte mich die Geschichte sehr an den Thriller „Ich.Darf.Nicht.Schlafen“ - auch hier weiß die Protagonistin nicht, wem sie trauen kann und ob sie selbst verrückt ist, und der Leser fragt sich, ob sich Michaela alles nur einbildet. Die Autorin schafft es, die Spannung von der ersten Seite an aufzubauen und auch zu halten. Obwohl es zwischendurch mitunter nach meinem Geschmack ein bisschen zu sehr ins Familiendrama abdriftet und Michaela wirklich sehr labil, naiv und unvernünftig ist und auch oft unverantwortlich handelt (sowohl ihrer Tochter als auch dem ihr anvertrauten Hund gegenüber), wird es gegen Ende wieder spannender. Durch die Email-Einschübe im Erzähltext, deren Geschehen sich zeitlich zu einem späteren Zeitpunkt abspielt als die eigentliche Handlung, kristallisiert sich denn auch nach und nach heraus, wer die wahre „verrückte“ Person in diesem Drama ist, und der aufmerksame Leser weiß dann doch in der zweiten Hälfte des Romans, wie alles zusammenhängt. Insofern ist das Buch eben auch kein richtiger Psychothriller (als solchen bezeichnet es sich auch nicht), sondern ein Roman, der von der sehr subtilen psychologischen Spannung und von Michaelas Selbstzweifeln und inneren Zerrissenheit lebt, die sehr überzeugend dargestellt werden und die zu ihrem, für einen nicht traumatisierten Menschen oftmals schwer nachvollziehbaren, Verhalten führen.

Die Charaktere des Romans sind gut herausgearbeitet, aber nicht sonderlich vielschichtig, die Hauptpersonen haben nahezu alle traumatische Kindheitserlebnisse zu verarbeiten und einen seelischen Knacks. Am Interessantesten fand ich persönlich Lena, die im Buch die Entwicklung der verantwortungslosen Herumtreiberin hin zu einer Persönlichkeit durchmacht, die Entscheidungen trifft, Verantwortung übernimmt und versucht eine Lösung zu finden. Sie ist auch die aktivere der beiden Frauen, Michaela lässt das Meiste geschehen, verkriecht sich oft im Bett und zieht sich die Decke über den Kopf. Sie versucht nicht hinter die Dinge zu kommen und herauszufinden, was ihr fehlt. Erzählt wird aus den beiden Perspektiven von Michaela und Lena, wodurch einem diese beiden Figuren auch am schnellsten ans Herz wachsen. Die Nebenfiguren bleiben ein bisschen blass, Lehrer Jan ist durchaus hilfreich und eine große Stütze für Michaela, aber es ist Lena, die schließlich die Wurzel allen Übels aufspürt. Das Ende ist nach der Eskalation durchaus befriedigend, wenn auch etwas abrupt. Die Sprache ist mitunter recht deftig und die Sexszenen werden detailliert beschrieben – ob diese immer so dem logischen Handlungsverlauf entsprechen sei dahingestellt – die Beschreibungen hätten meines Erachtens eher in einen erotischen Roman gepasst. Das Cover fand ich übrigens recht passend, es macht das Verschwimmen der Wirklichkeit deutlich. Was der Titel mit all dem zu tun hat, versuche ich noch herauszufinden….

Fazit: Gut zu lesender Roman mit großem Spannungsbogen, wer auf psychologische Spannung steht wird diesen hier ebenfalls mögen. Für Fans der Autorin sowieso ein Muss, aber auch für Einsteiger ins Thriller-Genre oder solche Leser geeignet, die es nicht so blutig wollen.