4,5 Sterne für Einblicke ins Leben der Edith Piaf

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elke seifried Avatar

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Michelle Marlys Coco-Chanel-Roman hat mich so sehr begeistert und mitgerissen, dass ich mich wahnsinnig auf diese neue Romanbiografie aus ihrer Feder gefreut habe. Ganz solche Lobeshymnen kann ich dieses Mal nicht anstimmen, was aber wohl weniger am Roman an sich, als an der Figur Edith Piaf, von der ich mir wohl mehr bzw. zu viel erwartet habe, liegt.

„Edith Gassion, die junge Frau im Zentrum, war ein winziges Persönchen, gerade einundzwanzig Jahre alt, nicht einmal eineinhalb Meter groß und alles andere als eine auffallend attraktive Frau. Ihre Stirn zu hoch, die Nase zu schmal und zu lang. Ihr dunkles Haar widerspenstig und nur halbwegs gepflegt. In ihren braunen Augen lag jedoch Schalk, Trotz und Traurigkeit dicht beieinander und zogen jeden in ihren Bann.“ Mit diesen Worten bekommt man die spätere Edith Piaf vorgestellt und man fragt sich sofort, wie ist ein solches Persönchen zu einer solchen Musikikone geworden, deren Name auch lange nach ihrem Tod noch ein fast jeder kennt und deren Melodien noch so vielen in den Ohren sind.

Dieser Frage geht die Autorin nach, indem sie den Leser hier am Leben der Edith Piaf in den Jahren 1944 bis 1947 teilhaben lässt und in Rückblicken von ihrer traurigen Kindheit, die sie sehr geprägt hat, und ihrer Entdeckung erzählt.
Warum wird nur diese relativ kurze Zeit beleuchtet, warum nur kurze Worte im Nachwort über ihr Abrutschen nach Marcel Cedans Tod? Ich denke, das wird mit dem Ansinnen der Autorin „Habe ich mich entschlossen, die strahlende Edith Piaf zu zeigen, ich möchte ihre Leistungen würdigen, nicht ihre Zerstörung dokumentieren.“, genügend und gut begründet und ist auch durchaus legitim.

Der Roman ist in mehrere Teile gegliedert. Nach einen Prolog, der von ihrer „Entdeckung“ im Jahr 1937 und auch davon wie Raymond Asso sie zur Künstlerin geformt und ihr Eintritt in die Welt der Großen der Musikbranche verschafft hat, erzählt, geht es in einem ersten Teil mit den Vorbereitungen für die ersten Aufritte nachdem die deutsche Besatzung im Jahr 1944 aufgehoben wurde weiter. Man erfährt, dass ihr ein Auftrittsverbot droht, weil sie während der Besatzungszeit auf dem Boden des Deutschen Reichs gesungen hat. Dass es sich dabei um Gefangenenlager und französische Kriegsgefangene als Zuhörer handelte, will man nicht gelten lassen. Sollte man sie unschuldigerweise der Kollaboration überführen, würde ihr sogar Haft drohen. Zudem lernt man mit ihr Yves Montand kennen, der ihr als Anheizer dienen soll. Man wird Zeuge, wie sie sich zum ehrgeizigen Ziel setzt, seine Karriere zu protegieren, wie sie ihn zu ihrem männlichen Pedant macht und wie sie sich in ihn verliebt, bzw. mehr wie sie ihn zunehmend begehrt und dann auch eine Liebesbeziehung zu ihm eingeht. In einem zweiten Teil darf man mit den beiden auf Tournee nach Südfrankreich gehen, sehen wie Yves die Erwartungen des Publikums mit seinem neuen, von Edith Piaf entworfenen Programm, nicht erfüllen kann und sie die großen Erfolge feiert. Am Ende dieses Abschnitts können sich die beiden sicher auf Augenhöhe begegnen und wieder geht es auf eine erfolgreiche Tournee. Das drohende Auftrittsverbot, das im ersten und weiten Teilen des zweiten Abschnitts noch wie ein Damoklesschwert über ihr hing, wird aufgehoben und sie bekommt nicht nur das Engagement des Lebens, sondern sie erfüllt sich auch ihren Traum davon, ein eigenes Lied zu komponieren und zu schreiben. „La vie en rose“ entsteht. In einem dritten Teil muss sie dann hinnehmen, dass die große Edith Piaf mit neuem Programm nicht ankommt, nicht einmal ihr Geliebter Yves Montand es gut findet. Karriere oder Liebe, sie muss sich entscheiden und tut es. Ein relativ kurzer vierter Abschnitt schildert anschließend noch ihre Anfangsschwierigkeiten in Amerika im Jahr 1947 und wie sie dann dort doch noch begeistern konnte. Den Abschluss bildet das Nachwort der Autorin, das mir sehr gut gefallen hat, weil es nicht nur einen kurzen Abriss über das weitere Leben gibt, sondern auch aufzeigt, was Roman, was sichere Quellen sind.

„No, je ne regette rien“, das ist das Lied, das ich beim Name Edith Piaf im Ohr habe, mehr wusste ich nicht über die Musikikone. Die Autorin hat mich auf unterhaltsame Art und Weise mehr erfahren lassen. Ich ziehe meinen Hut vor der großen Sängerin, dass sie trotz der furchtbaren Kindheit den Weg aus der Gosse gefunden und aus ihrem Leben einen solchen Erfolg gemacht hat. Ich kann verstehen, dass sie, die als Kind keinerlei Liebe erfahren hat, Angst davor hat, sich in das Glück mit anderen fallen zu lassen. Einige Abschnitte sind mir zu Herzen gegangen, haben mich gerührt, aber trotzallem habe ich, warum auch immer mehr erwartet, als Erfolge einfahren, Einnahmen verprassen oder auch auf Pump zu feiern und dabei Männer zwischen Nähe und Abstand zu rangieren. Dieser Eindruck hat bei mir beim Lesen leider in weiten Teilen dominiert, weil dies sich bei diversen Aufritten immer wieder wiederholt. Gut dargestellt ist sie aber auf jeden Fall, ebenso wie die anderen Mitspieler, bei Yves Montand angefangen, der mir äußerst gut gefallen und auch oft leid getan hat, über die treue Freundin Simone, die ihr immer zur Seite steht und ohne die Edith Piaf bestimmt noch viel mehr verprasst hätte, bis hin zu Texter Henri, der schwer in Konkurrenz zu Yves steht.

Michelle Marleys locker, plaudernde Schreibstil hat mir auch dieses Mal wieder äußerst gut gefallen. Ich konnte immer wieder schmunzeln, wofür sie mit amüsanten Szenen oder humorvollen Dialogen sorgt. Sie beschreibt genau so detailliert, dass man als Leser das Gefühl hat, bei den Szenen selbst mit anwesend zu sein. Gut gefallen haben mir dabei auch ihre zahlreichen Vergleiche wie „strahlte sie mit der Zufriedenheit eines Katers an, der gerade einen Topf mit Sahne geleert hatte.“ oder „schwelte unter der Oberfläche wie Asche in einem Kamin.“

Alles in allem eine unterhaltsame Romanbiografie über den Aufstieg eines Kindes von der Straße zu einer weltberühmten Ikone der französischen Musik, zu einer gebildeten, brillanten, intellektuellen Person, die mir einen gelungenen Einblick in das Leben der Edith Piaf gegeben hat. 4,5 Sterne wären hier optimal, da es für völlige Begeisterung und fünf leider nicht ausreicht.