Tausendmal berührt... - Freundschaft oder mehr? Eine interessante Beziehungsgeschichte über 34 Jahre

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Frie, alias Friederika, bereitet sich auf ihr dreißigjähriges Abitreffen in 2022 vor. Eigentlich interessiert sie dort nur eine Person wirklich: Robert, ihr bester Freund in Schultagen, der allerdings nicht zugesagt hat. Doch dann sitzt er am Kai... In mehreren Rückblenden erzählt Julia Karnick die Geschichte von Frie und Robert, beginnend mit ihrer Schulzeit in der Jahrgangsstufe 11, die sie trotz oder gerade wegen ihrer unterschiedlichen sozialen Familienverhältnisse zusammengebracht hat. Frie, nach außen hin sehr selbstbewusst, und Robert, eher zurückhaltend und beobachtend, werden beste Freunde, die sich vieles anvertrauen, aber auch oft aneinanderecken. Robert entwickelt bald mehr Gefühle für das "Entenmädchen" mit den großen Füßen, bleibt für Frie aber nur der Fels in der Brandung. Auch nach dem Abi kreuzen sich ihre Wege mehrmals, Frie genießt zunächst ihre Freiheit auf Reisen und studiert dann, Robert jobbt und leistet seine Zivildienst ab. Frie bekommt eine Tochter, die sie bald allein erzieht und arbeitet in einer Anwaltskanzlei, Robert genießt sein freies Leben mit wecheselnden Beziehungen, ist noch nirgends angekommen. Sein einziger Fixpunkt ist ein älterer wohlhabender Herr, den er als Zivi betreut hat und Frie, die ihm nicht aus dem Kopf geht. 2002 kommen sie sich für kurze Zeit ganz nah, aber beide geben ihrer Beziehung keine Zukunft. Beim Wiedersehen in 2022 lädt Robert Frie zu sich nach Südtirol ein, wo beide ihre Beziehung aufarbeiten...
Julia Karnick ist es gelungen, eine spannende und auch authentisch wirkende Beziehungsgeschichte zu schreiben. Der Titel "Man sieht sich", Roberts Bemerkung nach seinem ersten Treffen mit Frie in der Schule, passt hervorragend zum Roman. Man sieht sich, man verliert sich wieder - es ist vielleicht lapidar dahingesagt, aber in den mehrmaligen Wiederholung schwingt auch immer so etwas wie Hoffnung mit, die Hoffnung, dass die Freundschaft auch nach Schwierigkeiten miteinander bestehen bleibt. Die Einbettung der Beziehungsentwicklung über Jahre hinweg in die erzählerische Gegenwart, den Zeitpunkt des Abitreffens und des Besuchs in Südtirol in 2022 ist sehr gelungen.
Die auktoriale Erzählerin lässt die Protagonisten sehr lebendig werden mit ihren Träumen, aber auch Ängsten, seien sie alterungs- oder existenzbedingt. Durch den Wechsel zwischen kurzen, dann aber wieder längeren, verschachtelten Sätzen, erstere meist bei Beobachtungen von Handlungsabläufen, die zweiten meist bei Einblicken in die Gedankenwelt der Charaktere, ist der Roman sehr gut lesbar und abwechslungsreich.
Das Cover rundet das positive Bild ab: gemeinsam, aber auch vereint? - Der vertikale Strich deutet Brüche in der Beziehung an.
Ein empfehlenswerter Roman, nicht nur für Ü50-Leser:innen.