Von Freunden und Liebenden

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anneteekanne Avatar

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»Über dieses Leben, das so einsam und klein sein kann und dann wieder so riesengroß und herrlich.« Seite 290

Es ist 1989. Robert wechselt das Gymnasium vor dem Abitur, wegen Latein. Frie ist die erste, die ihm auf der neuen Schule begegnet und langsam freunden sie sich an.
Er beneidet Frie, um so vieles und Frie nimmt sich auch alles, was sie möchte, um dem Kleinspießertum ihrer Familie zu entkommen. Dass sie dabei nur an sich denkt und nicht an die Menschen in ihrem Umfeld, macht sie nicht sympathisch.

»Er konnte noch nie gut Nein sagen, wenn sie unbedingt etwas wollte. Eigentlich, denkt er, hat er das nur ein einziges Mal geschafft, und rückblickend war es ein Fehler, wahrscheinlich, vielleicht, er wird es niemals wissen.« Seite 281

So werden verschieden Station ihres Lebens erzählt, mal aus Fries Sicht, mal aus Roberts. Mal sind sie zusammen an einem Ort, mal nicht.

»Freunde konnten es sich leisten, gelassen und großzügig zu sein, vermutlich deshalb.« Seite 243 - Zitat darüber, warum sie nie gestritten haben.

Aber immer ist da das Gefühl von guten Freunden, die sich auch ohne Worte verstehen können. Und trotzdem war immer was, was nicht passte.

»Nach allem, was passiert war, gab es eine unauslöschliche Verbundenheit zwischen ihnen, auch wenn ihre gemeinsame Zeit sehr, sehr lange zurücklag.« Seite 264

»Sie haben es oft genug versucht, nur Freunde zu sein, jedes Mal sind sie krachend daran gescheitert. Für eine Affäre sind sie sich zu nah. Und Freundschaft Plus ist ein Konzept, das Frie für Unsinn hält...« Seite 295


Ich bin der gleiche Jahrgang wie Frie und Robert, habe auch 1991 Abitur gemacht - in Hamburg. Alles, was erzählt wird, betrifft mich, ich kann es auf mich beziehen, habe es im meinem Umkreis erlebt und so auch eine Verbindung zu Frie und Robert aufbauen. Ich muss aber sagen, dass ich Robert lieber mochte oder sympathischer fand als Frie. Das, was ich an beiden mochte, ist der Versuch ehrlich miteinander zu sein, so wie Freundschaft eben sein sollte.

Dazu dann Julia Karnicks Schreibstil: Schlicht, gerade heraus, kein Pomp, keine Übertreibungen. Er erinnert mich an Ewald Arentz (Der große Sommer).
Warum? Weil Robert unter dem Verlust/Abschied von Frie leidet. Er leidet eine halbe Seite, keine fünf, kein Wort zu viel. Es ist so normal und so nüchtern, dass man gerne eine halbe Seite mit ihm leidet und man ihm dann auf die Schulter schlagen möchte "genug jetzt, auf geht's". Das mag ich. Das zieht sich durch das ganze Buch und macht es so wunderbar.
Ich mochte schon "Am liebsten sitzen alle in der Küche", weil die Geschichte so menschlich, ehrlich und in Hamburg spielte. Als dieser Roman in Flensburg begann, war ich überrascht, aber er kommt recht schnell nach Hamburg zurück, nur um dann wieder woandershin zu wandern.
Wie das Leben halt, das ist selten auch nur an einem Ort.


Fazit: Leiser Roman über Chancen und Verpasstes, sehr lesenswert.