Abgetaucht...

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alsterschwan Avatar

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Die Pulitzer-Preisträgerin Jennifer Egan hat mit „Manhattan Beach“ ein interessantes Buch geschrieben, dass bestimmt viele Leser*innen begeistert – aber mich hat sie leider am Strand der „Manhattan Beach“ zurückgelassen...
Ich gebe es zu: ich hatte mir einfach einen anderen Inhalt nach dem Klappentext und der Leseprobe vorgestellt: ich hätte mir sehr gewünscht, dass wir mehr von Anna Kerrigan erfahren, die mutige junge Frau, die es immerhin schafft, im 2. Weltkrieg als erste Marinetaucherin die gigantischen Kriegsschiffe in einer Werft in Brooklyn instand zu setzen – entgegen den geballten Vorurteilen ihren männlichen Ausbilder und Vorgesetzten! Ja gut, wir erfahren schon etwas über Anna: wie sie ihre schwerstbehinderte Schwester liebevoll betreut und versorgt, ihre Beziehungen zu ihrem Vater, zu ihrer Mutter, zu ihren Freundinnen, Kollegen und Vorgesetzten – und eben auch zu Dexter Styles, dem Nachtklubbesitzer!
Dexters Geschichte wird im zweiten Handlungsstrang beschrieben, dessen Geschichte mich aber eher verwirrte, bei der ich ganze Absätze (ja, sogar Seiten) noch einmal lesen musste, um Zusammenhänge von Personen und Zeiten zu erfassen und Kernaussagen zu entdecken. Dexter Styles ist ohne Zweifel eine faszinierende und schillernde Persönlichkeit, der sein Imperium in der Zeit der Prohibition gegründet hat, aber nun immer stärker seine Geschäfte legalisieren möchte. Ein liebevoller Familienvater und Ehemann, fest integriert in die Familie um seinen Schwiegervater. Aber ich konnte mit ihm nicht „warmwerden“, seine „Lebensentwürfe“ interessierten mich immer weniger...
Der dritte Handlungsstrang beschreibt das Leben von Eddie Kerrigan, Annas Vater, seine Erfolge und Sorgen. Zuerst in Rückblenden erfahren wir, dass er in der Weltwirtschaftskrise seine Existenz verlor („Kerrigan fuhr einen niagarablauen Duesenberg, Modell J, Baujahr 1928, der sowohl von einem ausgezeichneten Geschmack als auch von den rosigen Aussichten zeugte, die er vor dem Börsenkrach gehabt hatte.“ S. 32) und jetzt am Rand der Armut und Verschuldung lebt. Seine Ängste und Nöte, dass er jetzt seine Familie nicht ausreichend versorgen könne: seine kleine Tochter Anna und ihre schwerbehinderte Schwester Lydia, seine Frau, die früher als Tänzerin bei den „Follies“ gearbeitet hat und jetzt mit Näharbeiten zum Lebensunterhalt beiträgt. Seine Erlebnisse bei der Handelsmarine waren sehr fesselnd und spannend beschrieben.
Nein, am Schreibstil lag es bestimmt nicht, dass bei mir der Funke nicht gezündet hat und ich am Ende des Buches statt eines „schade, nun ist es vorbei“ eher ein „endlich geschafft“ gedacht habe... Die Autorin hat sicher intensiv und aufwendig recherchiert und hat auch den Zeitgeist der 1940-er Jahre in New York gut eingefangen, aber ich konnte bei den Personen nicht wirklich „mit leben, leiden, freuen“, mir fehlen also die Faktoren, die für mich ein „gutes“ Buch ausmachen. Außerdem war mir ein deutlich „zu wenig“ Anna (ihre Taucherlebnisse und -erfahrungen) und ein „zu viel“ Dexter (mit den Rivalitäten im Nachtklubsektor) vorhanden, so dass ich mich – wie eingangs erwähnt – etwas ratlos und enttäuscht am Strand von Coney Island ausgesetzt fühlte...