Mein Leben als Pinguin

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Katarina Mazetti – Mein Leben als Pinguin – Rezension

Es ist immer wieder seltsam. Manche Bücher werden wie gute Freund und es fühlt sich immer wieder komisch an, wenn man die letzte Seite, die letzte Zeile dann endgültig gelesen hat.

In ihrem Roman beschreibt Katarina Mazetti die Reise einer Kreuzfahrtsgesellschaft auf dem Weg in die Antarktis. Doch diese Reise wird von ihr eigentlich nur als Aufhänger für den wahren Inhalt des Buches benutzt: die Passagiere sind das Wichtigste. Die Interaktionen miteinander, das Verhalten, die Gefühle und Handlungen jeder einzelnen Person werden in den Mittelpunkt gestellt und die Reise somit kurzweilig und lebendig gestaltet. Jede einzelne Figur birgt eine einzigartige Geschichte, durch die Reise in die Antarktis werden diese einzelnen Geschichten und Schicksale dann miteinander verknüpft.

**Die Charaktere:**

Wilma:

Sie wird von der Autorin als burschikose Mittdreißigerin mit Unterbiss beschrieben. Doch ich finde, dass diese Beschreibung nicht ganz exakt auf Wilma zutrifft. Sie ist 32 Jahre alt und arbeitet als Lehrerin für Physik und Mathematik an einer christlichen Heimvolkshochschule in Tallgärde. Dort lebt sie nach dem Tod ihres Vaters alleine in einer kleinen Einzimmerwohnung. Erst als sie von ihrem Vater ein hübsches Sümmchen Geld geerbt und erfahren hat, dass sie unheilbar an Parkinson erkrankt ist, entschließt sie sich zu einer Reise in die Antarktis, um einmal einen Pinguin in freier Wildbahn sehen zu können. Auf der gesamten Reise gibt sie sich lebenslustig, fröhlich und optimistisch, obwohl sie auf Grund ihrer einsamen und trostlosen Kindheit keinen Anlass dazu hätte. Ihre Mutter wurde von einem Bus überfahren, als Wilma noch klein war. Von diesem Tag an lebte sie allein mit ihrem Vater im kleinen Dorf Bergslagen. Da ihr Vater nach einem Unfall mit der Säge Invalide war, kümmerte sie sich um den Haushalt und ging schon früh arbeiten, um ihr Leben finanzieren zu können. Schon bald nach dem Tod ihrer Mutter, begann ihr Vater sie „Wilmer“ zu nennen und wie einen Sohn zu behandeln, den er nie gehabt hat. Doch auch davon ließ sie sich nicht unterkriegen und wuchs zu einer gutmütigen und freundlichen jungen Frau heran.

Tomas:

Er führte ein glückliches Leben, bis seine Frau Sanna ihn zusammen mit den gemeinsamen Kindern Asta und Arvid verlassen hatte, als er sich auf einer mehrmonatigen Reise befand, auf der er Recherchen für seinen Job als Journalist betrieb. Gemeinsam mit ihrem neuen Freund, dem „Hulk“ zog Sanna mit seinen Kinder nach Kalifornien, er verlor das Sorgerecht und hatte von diesem Zeitpunkt an kaum noch Kontakt zu ihnen. Eigentlich wollte Tomas die Reise in die Antarktis machen, um seinem Leben ein Ende zu bereiten. Er verkaufte deshalb vor seiner Abreise sein Haus und kündigte seinen Job. Doch der Selbstmordversuch misslingt und als er sich auf der Reise in Wilma verliebt, passiert nichts mehr so, wie er es eigentlich vorhatte. Im Gegensatz zu Wilma ist Tomas pessimistisch, er leidet unter Depressionen und hat die Trennung von seiner Frau immer noch nicht verkraftet. Oft geht er Wilma mit sarkastischen Bemerkungen auf die Nerven, er ist unnahbar und möchte von allen bemitleidet werden. Ein Mann, in den Frau sich niemals verlieben möchte. Und dennoch findet Wilma Gefallen an Tomas und die beiden planen am Ende der Reise, nachdem Tomas von seinen Depressionen geheilt ist, eine gemeinsame Zukunft.

Alba:

Sie vergleicht sich selbst mit einem Wanderalbatros, der sein ganzes Leben lang auf Reisen ist und sich nirgends zur Ruhe setzen will. Diesen Vergleich finde ich für Alba, die eigentlich auf den Namen Alma Cecilia getauft wurde, sehr passend. Sie ist 72 Jahre alt, fühlt sich aber wie 36, ist lebenslustig und möchte noch viel erleben und unternehmen. Geboren wurde sie in einem kleinen Dorf in Hälsingland, als eines von elf Kindern. Ihr Vater arbeitete in einem Sägewerk, ihre Mutter kümmerte sich als Hausfrau um die Kinder. Schon bald wurde Alba ihr Geburtsort zu eng und sie wanderte aus, um etwas von der Welt zu sehen. Da sie nicht gerne sesshaft wird und sehr rastlos ist, verlässt sie auch ihren Ehemann und ihren Sohn Miguel in Spanien nach nur wenigen Jahren. Bis zum Zeitpunkt der Reise hatte sie nie wieder Kontakt zu den beiden. Alba hat sich vorgenommen, auf jeder Reise, die sie in ihrem Leben macht, ein Notizbuch zu verfassen, in denen sie ihre Gedanken sammeln und ordnen kann. In Anlehnung an ihr großes Idol, den Verhaltensbiologen und Begründer der Evolutionstheorie Charles Darwin, beginnt sie auf ihrer Reise in die Antarktis ein Büchlein über „die Entstehung der Unarten“, in dem sie versucht, ihre Mitreisenden zu klassifizieren.

Kabine 502: Lennart und Brittmarie Jansson

Brittmarie: Sie ist offen für Neues, lebhaft und aufgeweckt. Auf der Reise wird sie oft als nervige kleine Person dargestellt, sie sich jedem Mann an den Hals wirft, der sich in ihrer Nähe befindet, obwohl sie verheiratet ist. Man wird aus ihr irgendwie nicht ganz schlau. Auf der Kreuzfahrt betrügt sie ihren Mann mit einem russischen Matrosen.

Lelle: Er ist eifersüchtig und sehr genervt von Brittmaries Verhalten. Aus diesem Grund beschließt er, seine Frau auf der Reise umzubringen. Doch alle von ihm unternommenen Versuche scheitern. Als er seine Gattin beim Beischlaf mit dem Matrosen ertappt, denkt er gar nicht mehr daran, sie umzubringen, sondern ist liebevoll und fürsorglich, was für mich absolut unverständlich ist.

Ich finde, dass die beiden eine Art Hassliebe führen. Sie können nicht ohneeinander aber auch nicht wirklich miteinander leben. In ihrer Ehe findet man kaum Zärtlichkeit und Fürsorge.

Kabine 311: Ulla Baven und Margareta Knutsson

Da die beiden einzeln schwer zu charakterisieren sind, fasse ich sie zusammen. Es handelt sich bei diesen beiden Damen um Seniorinnen im Alter 59+, die sich zu dieser Reise entschieden haben, um sich einen reichen Witwer zu angeln. Beide waren schon einmal verheiratet und lernten sich im Verlauf dieser Ehen kennen. Mittlerweile sind die beiden geschieden, beste Freundinnen geworden und finden ein Leben ohne die andere unvorstellbar. Am Ende der Reise meistern sie einen Konflikt, als sich beide in denselben Mann verlieben. Doch ihr Ziel, auf der Reise einen Witwer zu treffen, können sie sich nicht erfüllen, und so verlassen beide das Schiff wieder als Single.

Kabine 412: Mona und Göran Alvenberg

Mona: Sie ist eine lebenslustige und kontaktfreudige Person, die auf dieser Reise neue Freunde finden und Bekanntschaften schließen möchte. Jedoch ist sie sehr schüchtern und wird deshalb von ihrem Mann unterdrückt. Sie kann sich erst vollkommen entfalten, wenn er nicht bei ihr ist.

Göran: Er ist ein sehr bestimmter und geradliniger Mann, der sich nicht gerne etwas sagen lässt. Seine Frau unterdrückt er gerne, und lästert vor ihr über die Mitreisenden, obwohl sie sich gerne mit diesen anfreunden würde. Meist verhält er sich kühl, distanziert und unnahbar.

Pelle und Carola Spandermann

Die beiden sind ein wirklich süßes Pärchen. Pelle, der schüchterne und zurückgezogene Ornithologe und Carola, die extrovertierte Bügeleisenverkäuferin. Im Gegensatz zu Pelle, der auf der Reise Vögel beobachten will, möchte Carola diesen Trip als Werbekampagne für ihr Bügeleisen benutzen, mit dem sie sich an den verrücktesten Orten fotografieren lässt. Man kann sie sehr schnell für etwas begeistern und sie sprüht vor Energie.

Linda und Lisa Borkmeyer

Linda: Sie ist 49 Jahre alt und ein richtiger Drache. Ständig kommandiert sie ihre kleine Schwester Lisa herum, sieht sie als „Spucknapf, Laufbursche und Putzfrau“. Da sie ihr die Reise finanziert hat und sich für extrem reich hält, lässt sie das bei jeder Gelegenheit deutlich werden. Bei ihren Mitreisenden gilt sie als extrem unangenehme Person, da sie unfreundlich und launisch ist.

Lisa: Sie ist die kleine Schwester von Linda. Mit ihren 42 Jahren lässt sie sich sehr viel von ihrer großen Schwester gefallen und beschwert sich nie. Sie gilt als von ihrer Schwester abhängig und soll nach der Reise zu dieser in ihre Villa ziehen. Doch sie entwickelt sich während der Reise weiter, flirtet mit dem Barkeeper Bill und beginnt langsam, sich gegen die Tyrannei unter ihrer Schwester zu wehren.

Schiffsarzt Sven:

Er ist ein liebenswürdiger Senior, der sich ungefähr in Albas Alter befindet. Die Kreuzfahrt, die im Roman beschrieben wird, ist seine letzte, da er sich danach zur Ruhe setzen möchte. Durch seine nette und einfühlsame Art kommt er sehr gut bei den Mitreisenden an und er unterstützt sie alle, wo er nur kann. Wenn er einmal keine Patienten hat, liebt er es Poker zu spielen. Man erfährt auch von ihm, dass er eine Affäre mit Alba hatte, die jedoch lange zurückliegt. Doch auf der Reise kommen sich die beiden wieder näher und frischen ihre Beziehung wieder auf.

Weitere:

Die Reiseleiter Bengt, Mirja und Magnus, Kapitän Grigorij und der Barkeeper Bill

**Eindrücke:**

Die Sprache ist weitestgehend leicht verständlich und lässt sich schön flüssig lesen. Die Autorin versteht es immer wieder gut, den Leser mit Worten an den Roman zu fesseln, und es ist schwer ihn einmal aus der Hand zu legen. Zu Beginn des Buches bekommt man eine Leseanweisung und eine kurze Beschreibung der Personen dargeboten, was nicht typisch für jedes Buch ist. Ich finde diese Idee aber auch nicht schlecht, da sich der Roman dadurch von anderen Büchern abhebt. Obwohl das Buch leicht zu lesen ist, braucht man eine gewisse Einlesezeit, da es zu Beginn sehr schwer fällt, von Person zu Person umzuschalten. Da es keinen allwissenden Erzähler gibt, und die Meinungen der einzelnen Personen immer aus deren Sicht wiedergegeben werden, lässt sich manchmal eine Wiederholung der Ereignisse nicht vermeiden, was ich wirklich schade finde und was teilweise nervig erscheinen mag. Katarina Mazetti zieht ihre Leser in den Bann und sie versucht auch mit ihnen zu interagieren, als sie Wilma den Leser direkt ansprechen lässt (S.238).

Die Charaktere werden indirekt durch Beschreibungen der anderen Personen charakterisiert, was ich wirklich super finde, da man so nicht nur ein einziges Bild von der Figur vermittelt bekommt. Man kann sich die Menschen auf dem Schiff sehr gut vorstellen und man fühlt sich, als wäre man ein Mitreisender. Am Ende des Romans hat man wirklich das Gefühl, alle Charaktere persönlich zu kennen und man fühlt sich mit ihnen verbunden. Die Autorin arbeitet wenig mit Landschaftsbeschreibungen und dennoch konnte man sich die Umgebung genau vorstellen. Allein die Gefühle der Personen sagten schon etwas über die arktische Landschaft aus. Hieran merkt man, dass das Augenmerk deutlich auf der Handlung und den Gefühlen der Personen lag.

Durch die amüsanten Stimmen aus den anderen Kabinen wirkt der Roman sehr lebendig und lässt auch Komik und Humor nicht vermissen. Auch über einige sarkastische Kommentare von Tomas musste ich schmunzeln. Viele lebendige Gespräche erwecken die Reisenden zum Leben und es scheint sehr witzig auf dem Schiff zuzugehen :-)

Doch das Buch bietet nicht nur gute Komik und herzerweichende Geschichten, sondern regt auch zum Nachdenken an. Immer wieder wird auf Parallelen zwischen tierischem und menschlichem Verhalten hingewiesen und viele verhaltensbiologische Aspekte aufgegriffen. Obwohl man von der Verwandtschaft mit den Tieren weiß, ist es nicht jedem Menschen immer bewusst, dass wir von Urtieren abstammen. Der Roman deutet sachte darauf hin, ohne dem Leser zu Nahe zu treten. Zudem werden in zahlreichen Diskussionen umweltbewusste Themen und Klimaprobleme angesprochen, bei denen die Autorin die Figuren auch über Lösungsansätze streiten lässt.

Mit ihrem Roman ist Katarina Mazetti ein wirklich schöner Roman gelungen, der den Menschen Hoffnung machen kann, die an Parkinson leiden. Wilma wird stets als lebenslustig und optimistisch dargestellt, obwohl sie unheilbar krank ist. „Verliert nicht den Mut!“ scheint die Autorin sagen zu wollen. Immer wieder lässt sie Symptome der Krankheit in die Geschichte einfließen, doch ich habe bis zum Ende des Romans nicht verstanden, welche Krankheit Wilma hat, bis ich es schwarz auf weiß gelesen habe. Danach war ich von ihrem Schicksal betroffen und ich war begeistert, wie mutig sie sich gibt.

Ein gelungener, lebendiger Roman, der auch als Reisebericht dienen kann. Und wann fahren wir los in die Antarktis?!