Eher artig als groß

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r.e.r. Avatar

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Ali Sethis “Meister der Wünsche” zu beurteilen fällt nicht leicht. Die Familiengeschichte die er in seinem Buch erzählt hat mir sehr gut gefallen. Die Verknüpfung dieser Familiengeschichte mit dem politischen Hintergrund Pakistans fand ich dagegen oberflächlich und ungenau, fast verwirrend.

 

Zaki studiert in Amerika und reist zur Hochzeit seiner Cousine Samar Api zurück in seine Heimatstadt Lahore. Am Vorabend der Trauung lässt er die Geschichte seiner Familie Revue passieren. Drei Generationen umspannt die Erzählung. Als Ich-Erzähler berichtet Zaki über seine eigene Kindheit und Jugend, die seiner Mutter Zakia und die seiner Großmutter Daadi. Zeitangaben liefert der Autor nur vereinzelt oder gar nicht. Man erfährt weder das genaue Geburtsjahr Zakis noch das genaue Alter seiner Mutter und Großmutter. Es fällt daher schwer die politischen Ereignisse im Land zeitlich einzuordnen. So fehlt der historische Hintergrund um die Ereignisse richtig einordnen zu können. Wenn man mit der politischen Geschichte Pakistans nicht vertraut ist, ist es schwierig die verschlüsselten Hinweise des Autors zu verstehen. Auf leichtfertige Weise verspielt der Autor hier die Chance Interesse und Verständnis für sein Land zu wecken.

 

Khaled Hosseini wird auf dem Umschlagcover von “Meister der Wünsche” zitiert. Zieht man seine Bücher “Drachenläufer” und “Tausend strahlende Sonnen” zum Vergleich heran, wird der Unterschied deutlich. Hosseini schafft es die Geschichten seiner Helden mit dem geschichtlichen Hintergrund seines Landes (in diesem Fall Afghanistan) nachvollziehbar zu verknüpfen und dadurch Neugier und Interesse zu wecken. Das schafft Sethi nicht.

 

Was ihm gut gelingt sind seine Figuren und die Beschreibung des täglichen Lebens in der Familie. Zaki wächst im Haus seiner Großmutter auf. Sein Vater starb noch vor seiner Geburt bei einem Flugzeugabsturz. Allein unter Frauen ist sein hervorstechendes Merkmal Anpassungsfähigkeit. Besonders seine Mutter Zakia und ihre Schwiegermutter Daadi geraten immer wieder aneinander. Zaki fungiert sozusagen als neutrales Bindeglied zwischen den Fronten. Seine Hauptbezugsperson ist die Cousine Samar. Einzelkind wie er und vom Vater als Belastung empfunden wurde sie zur Tante nach Lahore geschickt. Die beiden wachsen wie Geschwister auf, bis Samar durch ungeschicktes Verhalten ihre Familie in Misskredit bringt und das Haus unfreiwillig verlassen muss. Dieses Ereignis und wie es dazu kommt, schildert Ali Sethi sehr eindrücklich und mit großem Einfühlungsvermögen.

 

Überhaupt zeigen seine Figuren, dass Sethi einen scharfen Blick und die Fähigkeit zu klaren Analysen hat. Mit wenigen Worten beschreibt er treffend einen Charakter. Die Mutter Zakia stellt er als “halbgare Liberale” dar, weil sie nur aus Trotz gegenüber der Schwiegermutter die kämpferische Herausgeberin eines politischen Frauenmagazins geworden ist. Die Großmutter Daadi wird als “altmodische Konservative, deren negatives Denken immun ist gegen alles, was andere denken” charakterisiert. Viele interessante Nebenfiguren geben der Geschichte zusätzliche Würze. Daadis kranke, unterdrückte Schwester Choti, die ihre Tochter Samar lieber bei sich behalten hätte, jedoch nichts gegen ihren dominanten Ehemann ausrichten kann. Die loyale aber eigensinnige Hausdienerin Nasim. Der fast blinde! Fahrer Barkat. Die ewig kichernden Tanten Suri und Hukmi und deren unnütze Ehemänner.

 

Am Ende hat man zwar das Gefühl ein gutes Buch gelesen zu haben aber es stellt sich keine wirkliche Zufriedenheit ein. Zu wenig Tiefgang haben die Informationen über das Heimatland der Familie Shirazi. Man verspürt keinen Erkenntniszuwachs. Auf dem Umschlagcover wird Khaled Hosseini mit dem Satz “Eine großartige Familiensaga” zitiert. Ich würde sagen eher artig als groß.