Erst wunderlich, am Ende aber wunderbar

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ulrike229 Avatar

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Ein Mönch der Duiske Abbey tötet im Jahr 1460 versehentlich einen kleinen Jungen, weil er, abgelenkt von einem attraktiven Mädchen, bei Schießübungen unkonzentriert ist. Für diese Tat wird er von einem Engel verflucht. Dieser Fluch ist der Ausgangspunkt für Ralf Isaus dritten Roman „Messias“ (2008, Verlag Pieper).

Im Jahr 2009 scheint der Fluch und Aidens Tat zunächst vergessen. Die Abbay liegt im kleinen, irischen Dorf Graiguenamanagh und wirkt eher verschlafen:

Der 103-jährige Seamus Whealan erledigt dort einige Reparaturen für den anstehenden Gottesdienst und führt  ein Gespräch mit dem Dorfpfarrer Joseph O’Bannon, als begleitet von gleißendem Licht der leibhaftige Jesus blutend vom Kreuz steigt.

Natürlich bleibt dieser Vorfall nicht unbemerkt – sowohl die Medien interessieren sich für den Vorfall, als auch der Vatikan. Dieser sendet den gebürtigen Iren und Mitarbeiter der Kongregation von Selig- und Heiligsprechung, Hester McAteer, nach Graig, um die Vorfälle zu untersuchen.

Die wunderlichen Ereignisse spitzen sich immer mehr zu – zwei lokale Kleinkriminelle werden von „Gottes Hand“ niedergestreckt und ihre sterblichen Überreste im Dorf verteilt, die Hostie verwandelt sich in blutige Fleischstücke und Gefangene verlassen unbemerkt das Gefängnis. Zusätzlich geizt auch der Moses von Graig nicht mit Wundern.

Ob der Gekreuzigte wirklich gekommen ist, um das jüngste Gericht herbeizuführen und ob und wie die Wunder zu erklären sind, erforscht Hester McAteer im Verlauf des Buches. Auch die Bürde des Fluchs wird weiter thematisiert.

Die einzelnen Handlungsstränge des Buches sind sehr spannend geschrieben, so, dass es mir teilweise schwer gefallen ist, die Lektüre zu unterbrechen. Die Kirchenkritik (Zölibat, Reliquiengläubigkeit, Verbot der Homosexualität) des Buches ist zwar alles andere als neu, die Thematisierung allerdings nach wie vor notwenig.

Leider gibt es aber auch Kritikpunkte: Teilweise wirkt der Plot für mich sehr konstruiert, besonders die verwandtschaftlichen Verhältnisse und die konzentrierte Anzahl der Wunder. Warum muss beispielsweise Seamus noch die Fähigkeit besitzen, über Wasser laufen zu können – reicht nicht ein Jesus im Buch?

Außerdem war für mich die Liebe zwischen Hester und Fiona schwer nachvollziehbar. Hester wird als optisch weniger attraktiv beschrieben, über seinen Charakter erfährt der Leser nicht genug, damit die lange Liebe zwischen beiden verständlich wirkt. Im Gegensatz dazu ist die Figur des alten Seamus liebevoll ausgestaltet und man schließt den alten Mann, trotz mancher wunderlicher Charakterzüge, in sein Herz.

 

Zusätzlich waren die hier verurteilten Taten der Kleinkriminellen, Bürger und besonders von Aiden nicht nachvollziehbar. Der Mönch tötete aus Versehen ein Kind, natürlich eine schreckliche Tat, aber gemessen an anderen Taten der Kirche und Menschen ist das doch eher ein Kavaliersdelikt. Warum ausgerechnet er von einem Engel für diese Tat bestraft worden ist, erschließt sich mir nicht.

 

Auch der Stil Issaus ist teilweise anstrengend und sehr bemüht. Oft fühlte ich mich mit belehrt, wenn erst ein lateinischer (oder englischer) Begriff genannt wurde, der dann im Nebensatz erklärt worden ist. Leider wirkte das eher unsympathisch auf mich, fast schon beleidigend. Kann man nicht von dem durchschnittlich gebildeten Leser eines Kirchenromans verlangen, dass er sich „fallen angel“ selbst übersetzt oder den Berg Golgatha kennt? Sympathischer wäre, wenn es beispielsweise einen Anhang mit eventuell unbekannten Begriffen gibt, die der Leser bei Bedarf nachschlagen kann.

 

Dem Humor von Issau stehe ich zwiegespalten gegenüber. Manchmal finde ich den Humor weniger sympathisch, weil wieder der Eindruck erweckt wird, Issau versuche sich absichtlich sehr gewählt auszudrücken, wie zum Beispiel hier: „Er schien in einem langfristigen Selbstversuch zur Erforschung körperlicher Veränderung unter regelmäßiger Zufuhr von Gerstensaft zu befinden“ (S. 179). Andererseits konnte mir aber auch Phrasen wie „Hester machte eine gute Miene zum schlechten Vers“ ein Lächeln entlocken.

 

Alles in allem ist das Buch trotz der Kritikpunkte sehr gelungen. Es regt zum Nachdenken über die Kirche an, aber auch über die Liebe, Wunder und Übernatürliches. Gerade die Wundethematik mutet zu beginn zwar etwas konstruiert an, vermittelt dem Buch aber im Verlauf seinen besonderen Reiz. Dabei berühren eher die Wunder, die am Ende des Buchs nicht aufgeklärt werden können.