Schwierige Zeiten

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buecherfan.wit Avatar

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In Anna Burns Roman “Milchmann“ steht eine namenlose 18jährige im Mittelpunkt, die in einem katholischen Viertel vermutlich von Belfast aufgewachsen ist. Die im Roman beschriebenen Ereignisse spielen sich Ende 1979 in einem Zeitraum von etwa zwei Monaten ab. In dieser Zeit gerät das Leben der Protagonistin völlig aus den Fugen. Eines Tages heftet sich Milchmann, ein 41jähriges hochrangiges Mitglied der IRA, an ihre Fersen, obwohl er verheiratet ist und sie ihm ausweicht. Doch der Stalker lässt nicht locker und droht ziemlich direkt, ihren Vielleicht-Freund, mit dem sie seit fast einem Jahr eine Art Beziehung hat, mit einer Autobombe zu töten. Tratsch und Klatsch gedeihen in dieser Gemeinschaft, zumal ihr eigener Schwager für die Verbreitung der Gerüchte sorgt. Man dichtet ihr schnell eine Affaire mit dem Milchmann an und beschimpft sie als Schlampe. Nicht einmal die eigene Mutter glaubt ihr. Im übrigen hat es ohnehin keinen Sinn, irgendwelche Erklärungen abzugeben, sich zu verteidigen, denn in diesen Zeiten gehört es zur Überlebensstrategie, nichts von sich preiszugeben, nicht aufzufallen und schon gar nicht, die Aufmerksamkeit der gewaltbereiten Extremisten auf beiden Seiten auf sich zu ziehen. Die junge Frau befindet sich in einer ausweglosen Situation, resigniert.
Was macht diese Situation so brisant? Ebenso wenig, wie irgendjemand außer Milchmann einen Namen hat, werden die zeitgenössischen Fakten präzise benannt. Ende 1979 dauern die Troubles, die bürgerkriegsähnlichen blutigen Unruhen in Nordirland, bereits seit 11 Jahren an. Es ist ein gnadenloser Kampf zwischen der protestantischen Mehrheit, die den Verbleib im Vereinigten Königreich wünscht, und der katholischen Minderheit, die für die Vereinigung mit der irischen Republik kämpft. Auf beiden Seiten gibt es paramilitärische Einheiten, die immer wieder mit blutigem Terror Schlagzeilen machen. Die Zivilbevölkerung sympathisiert mit ihren eigenen Leuten, auch wenn sie selbst nicht militant ist. Und dann sind da noch die englischen Soldaten, die Polizei und jede andere als Obrigkeit betrachtete Organisation, die die katholischen Bürger fürchten müssen. Da ist keine Kooperation erlaubt. Andernfalls werden sie als Denunzianten verdächtigt und von den IRA-Mitgliedern – im Roman Verweigerer genannt - grausam bestraft. Beliebt war Verprügeln, das Zerschießen der Kniescheiben und natürlich Mord.
Die Autorin zeichnet ein trostloses Bild dieser Epoche, die erst 1998 nach 30 Jahren mit dem Karfreitagsabkommen ein Ende fand. So interessant das Thema ist, gefällt mir nicht, dass man den Roman nur mit Hintergrundkenntnissen versteht, dass die Geschichte in einer derartigen epischen Breite und einer wahrscheinlich nicht nur in der Übersetzung furchtbaren Sprache abgehandelt wird. Endlose Schachtelsätze werden aneinandergereiht, seitenlang gibt es bei dem in nur sieben Kapitel unterteilten Buch keinen einzigen Absatz. Ein so sperriges Buch habe ich selten gelesen.