Bildgewaltig, aber nicht ohne Weiteres verständlich

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
missmarie Avatar

Von

Michaela Coel scheint auf den ersten Blick alles andere als eine misfit - also jemand, der von der Welt als "anders" angesehen wird - zu sein: Die 34-Jährige Schauspielerin und Fernsehautorin hat Preise für ihre Comedy-Serie Chewing Gum gewonnen und stand für Black Mirror vor der Kamera. Dennoch handelt ihr Manifest vom Außenseitertum. Eindringlich geht sie auf unbequeme Themen wie Rassismus und Frauenfeindlichkeit in der Filmbranche ein und beschönigt dabei nichts. Denn ihr selbstauferlegtes Motto heißt Transparenz.

Das Manifest ist im wesentlichen die Rede, die Coel 2018 auf dem MacTaggart Festival in Edinburgh gehalten hat. Vorweg beschreibt die Autorin auf ca. zehn Seiten wie es zur Einladung zum Festival kam, der Prolog beleuchtet auf acht Seiten den Nachhall der Rede. Wer die Rede bereits (gut) kennt, erfährt im Manifest wenig Neues. Ich hatte vor dem Lesen weder etwas von dem Festival noch von Coels Rede gehört. Für uninformierte Leser:innen mit Filmaffinität ist das Buch durchaus spannend zu lesen. Coel gestattet nämlich einen Blick hinter die Kulissen des glitzernden Showbusiness und das aus einer Perspektive, die für den durchschnittlich europäischen Leser eher ungewöhnlich sein dürfte. Allerdings habe ich an vielen Stellen deutlich gemerkt, dass man Coel und ihre Werke kennen muss, um das Manifest verstehen zu können. Manchmal fehlte mir einfach der Hintergrund, sodass ich Teile des Textes nicht richtig einordnen konnte. Das fand ich schade. So bleibt auch unklar, an wen sich das Buch eigentlich richtet. Informierte Leser:innen werden wenig Neues erfahren, uninformierte Leser:innen kommen nicht ganz mit.

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass das dünne Buch seiner Themenvielfalt nicht ganz gerecht werden kann. Rassismus, Vergewaltigung, Homosexualität, institutionelle Diskriminierung, Spiritualität, MeToo und Frauenfeindlichkeit werden auf etwa 120 Seiten angesprochen. Die Autorin hat dabei auch den Anspruch, die Perspektive weißer Schauspieler:innen einfließen zu lassen oder Erfahrungen aus dem Ausland zu beleuchten. Für all das ist das Manifest meiner Meinung nach einfach zu kurz geraten.

Sprachlich glänzt Misfits hingegen. Coel erzählt so, wie man es von einer Serienfigur erwarten würde: Unmittelbar, erfrischend und manchmal auch sprunghaft. Dabei zeichnet sich meisterhaft ein Motiv nach dem anderen, das sich auf den nachfolgenden Seiten zwischen den Zeilen wiederfindet. Nicht umsonst fordert sie ihre Leser:innen auf, die Muster selbst zu erkennen. Da geht es dann beispielsweise um Motten und Leitern. Wenn Coel einen Rahmen öffnet, dann darf der:die Leser:in auf einen Abschluss hoffen - manchmal an unerwarteter Stelle. So wirkt Misfits oft eher wie ein Film.

Eine Empfehlung für Misfits würde ich nur bedingt aussprechen: Zwar kann das Buch mit der kunstvoll gestalteten Sprache punkten. Auch die Grundmassage ist stark und absolut zu unterstützen. Dennoch wird den vielen ernsten Themen nicht ausreichend Platz gegeben. Leser:innen, die sich kaum mit Coel auseinandergesetzt haben, werden außerdem nur Teile des Textes nachvollziehen können.