Inhaltlich wichtig, als Buch verzichtbar

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alasca Avatar

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Michaela Coel, seit etwa 2015 erfolgreich als Drehbuchautorin und Schauspielerin in Großbritannien und im TV-Betrieb eine Ausnahmeerscheinung, wurde im Jahr 2018 eingeladen, in Edinburgh vor einem Fachpublikum aus TV-Schaffenden die Key Note zu halten; eine einstündige Rede, die sogenannte James Mac Taggart Lecture. Sie war die erste schwarze Frau, der diese Ehre angetragen wurde.

Genau diese Rede, etwas überarbeitet und mit einem Vor- und Nachwort versehen, liegt nun als Büchlein von 120 Seiten vor, Titel: „Misfits. Ein Manifest.“ In dieser nun drei Jahre alten Rede verarbeitete Coel ihre oft schmerzhaften, schambelasteten Erfahrungen als schwarze Außenseiterin – von ihrer Kindheit und Jugend in einem Sozialbau in der Nähe der Royal Bank of Scotland bis hin zu ihren Erfolgen in der TV-Industrie. Beeinflusst von einem vielsagenden Traum während der Niederschrift ihrer Rede, widersteht sie der Versuchung, die Dinge allzu versöhnlich darzustellen. Sie möchte die TV-Industrie aufrütteln, damit sie ihr „Haus“, ihr starres System aus Normen, Standards und Dingen, die „eben einfach so sind“, in Ordnung bringt. Sie möchte durch ihr Beispiel andere Misfits ermutigen, Nein zu Dingen zu sagen, die in der Branche offenkundig nicht in Ordnung sind. Dabei sind Misfits für sie Menschen, die zu Misfits werden, weil sie die Welt (aufgrund ihrer Position ohne ein Netz von Sicherheiten) anders sehen oder „weil sie von der Welt als anders angesehen werden.“ Diese Definition gefällt mir gut, weil sie über BIPoCs und Transgender hinausgeht und alle einschließt, die wegen Andersartigkeit, welcher Art auch immer, schlimme Erfahrungen machen. Insgesamt würde ich sagen, dass es ihr trotz der zeitlichen Einschränkung sehr gut gelungen ist, die Dinge auf den Punkt zu bringen. Tiefe ist unter solchen Umständen nicht zu erwarten.

Was mir nicht gefiel: Etwa 13 Seiten des Buches wurden dafür verwendet, Schlüsselsätze in größerer Schrift zu wiederholen. Das sieht zwar schön aus, hat mich aber geärgert: Erstens mal dient das ganz offensichtlich dazu, Seiten zu schinden, und zweitens bin ich sehr gut in der Lage, Schlüsselsätze selbst zu erkennen bzw. die Sätze herauszufiltern, die FÜR MICH von Bedeutung sind. Insofern widerspricht dies der erklärten Intention der Autorin, unterschiedliche Perspektiven respektieren zu wollen. Stattdessen drängt mir der Verlag auf diese Weise (s)eine Wertung auf.

Die von der Autorin in Vor- und Nachwort bemühte Metaphorik des Totenkopfschwärmers (der sich auch auf den letzten zwei Seiten als Grafik findet) fand ich etwas … bemüht. Für mich war sie für die Aussage der Rede und des Buches ohne Belang. Nur wäre es ohne ein noch schmaleres Bändchen geworden.

Ganz im Gegensatz zu meiner sonstigen Haltung (ich würde immer das Buch bevorzugen, niemals die Verfilmung) denke ich, dass man dieses Buch nicht lesen muss. Ich glaube, das YouTube-Video bringt die überragende Präsenz von Michaela und ihre Botschaft weit besser rüber als dieses Buch – das Michaela übrigens lieber „Essay“ genannt hätte anstelle „Manifest“. Die Tantiemen seien ihr herzlich gegönnt. Dennoch bleibt dieses Buch Geldschneiderei.