Wir alle sind Miss Kim

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nathalielamieux Avatar

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Cho Nam-Joo begeisterte mich mit ihrem Roman „Kim Jiyoung, geboren 1982“ sehr. Mit ihrer sachlichen und minimalistischen Darstellung der alltäglichen Benachteiligung der Frau in der südkoreanischen Gesellschaft, die doch wunderbar auch auf europäische Frauen um die 40 zu übertragen war, regte das dünne Bändchen auf. Ich führte viele Gespräche darüber mit Frauen, deren Wut ebenfalls angefacht wurde. Umso gespannter war ich auf den soeben erschienenen Kurzgeschichtenband „Miss Kim weiß Bescheid“.

Erneut geht es um das Schicksal von Frauen und Mädchen in Südkorea. Acht Erzählungen betrachten das Thema anhand von Frauen unterschiedlichen Alters, von 10 bis 80 Jahren. Während im Vorgängerbuch das beispielhafte Schicksal einer Frau für die Erlebnisse von vielen Frauen standen, spielt der Kurzgeschichtenband mit diesem Prinzip. Hier wird nun das Schicksal „der Frau in Südkorea“ durch viele Geschichten erzählt. Und auch hier gelingt es Cho Nam-Joo erneut, dass die beschriebenen Situationen und Probleme nicht nur auf Frauen in Südkorea zutreffen, sondern dass auch Frauen aus anderen Kulturkreisen sich hier wiederfinden werden, da die beschriebenen Benachteiligungen von großer Generalität sind. Das macht ihre Stärke aus.

Auch in unserem Kulturkreis kennen wir die Zerrissenheit von Müttern zwischen Familie und Versorgung der Kinder auf der einen Seite und der Karriere und den eigenen Bedürfnissen auf der anderen Seite. Gaslighting oder körperliche Gewalt innerhalb von Beziehungen, Cybermobbing oder Ungleichbehandlung am Arbeitsplatz. Auch die Rolle der Frau im Alter wird thematisiert in einer sehr eindrucksvollen Geschichte einer Frau, die ihr Leben lang bisher für ihr Kind, ihren Ehemann und ihre Schwiegermutter da war und sich nun, im Alter von 60 Jahren, auf die Reise machen möchte um Polarlichter zu sehen und sich somit einen Kindheitstraum zu erfüllen.

Wieder ist die Sprache glasklar und messerscharf, die Geschichten sind flott und eingängig zu lesen und sie entfalten erneut die Wucht der Erkenntnis erst nach dem Lesen – die Geschmeidigkeit der Sprache macht die gezeigte Benachteiligung beinahe so unsichtbar wie im echten Leben. Kein Wunder, dass sich in jeder Geschichte eine Frau Kim findet. Auch das wunderbare Cover unterstützt dies erneut mit einer Illustration einer gesichtslosen Frau. Denn wir alle können Miss Kim sein – aber jetzt weiß Miss Kim Bescheid. Und passt auf.

Und wer noch nicht Bescheid weiß, der sollte nach „Kim Jiyoung, geboren 1982“ auch unbedingt „Miss Kim weiß Bescheid“ lesen.