Ein phantastisches Buch

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rebekka Avatar

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Was für ein Buch! Die Leiden der deutschen Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg wurden schon in vielen Romanen verewigt: Zerbombte Städte, Steine klopfende Trümmerfrauen, traumatisierte Rückkehrer, Vertreibung und Schwarzmarkt – wer sich für diese Zeit interessiert, hat eine große Auswahl an Lektüre. Wie es den überlebenden Juden erging, fand – abgesehen von dem Roman und den Film „Exodus“ – aber bisher kaum Eingang in die Unterhaltungsliteratur.
Diese Lücke hat Stephan Arbanell jetzt auf geniale Weise gefüllt. Er schickt die in Palästina geborene junge Jüdin Lilya Wasserfall 1946 auf eine Schnitzeljagd durch Deutschland, immer auf der Suche nach einem verschollenen jüdischen Wissenschaftler, von dem die Engländer behaupten er sei tot. Sein in Jerusalem lebender Bruder ist anderer Ansicht – und Lilya macht sich auf, den Spuren dieses Mannes zu folgen.
Es ist ein geschickter Schachzug von Stephan Arbanell, dass er keinen ehemaligen KZ-Häftling zur Hauptperson seines Romans gemacht hat, sondern eine Person, die die Grauen der Nazi-Herrschaft nicht selbst erlebt hat. So kann er den Leser gemeinsam mit Lilya unvoreingenommen in die von den Besatzungsmächten eingerichteten Lager schicken und in eher sachlichem Ton die Situation dort schildern. Dicht gedrängt warten die überlebenden deutschen und osteuropäischen Juden auf ihre Ausreise - wohin auch immer. In Deutschland sehen sie keine Zukunft für sich. Wer aus Osteuropa kam, der müsste bei einer Rückkehr in die kommunistisch regierten Länder erneut mit Diskriminierung und Verfolgung rechnen. Palästina, das gelobte Land, ist ihnen aber auch verschlossen, weil die dortige Mandat-Macht Großbritannien keine weiteren Juden einwandern lässt. Mit dem Kriegsende war das Leiden dieser Menschen noch lange nicht vorbei, so sehr sich die (häufig ebenfalls jüdischen) alliierten Helfer auch bemühten.
Arbanell hält seine Leser mit einem flüssigen Schreibstil, vielen überraschenden Wendungen und knapp gehaltenen Personenbeschreibungen bei der Stange. Einziger Kritikpunkt für mich: Es fehlt ein Glossar im Anhang. So muss man viele Begriffe wie „Hagana“ oder „Irgun“, die besonders jungen Lesern nichts sagen werden, im Internet nachschlagen. Andererseits: Es schadet auch nicht, wenn man sich bei „wikipedia“ von Stichwort zu Stichwort hangelt und so mehr über die Geschichte Israels erfährt.