Spurensuche nach Chinas neuen starken Frauen

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Die meisten von uns kennen den Disney-Film über eine der größten Heldinnen der chinesischen Geschichte, der Kriegerin Mulan. Er basiert auf einer alten Sage über die junge Frau Hua Mulan ("Blüte des Magnolienbaumes"), die im 5. Jahrhundert an Stelle ihres alten, kranken Vaters eine Rüstung anlegt, um für den Kaiser in den Krieg zu ziehen. Zwölf Jahre lang kämpft sie als Mann verkleidet mutig und hingebungsvoll auf den Schlachtfeldern und bewahrt entschlossen China vor dem Niedergang. Dafür wird sie bis heute in ihrer Heimat verehrt.

Der Buchtitel "Mulans Töchter" ist gut gewählt, denn die heldenhafte Geschichte von Mulan enthält im Kern eigentlich eine feministische Botschaft. Mulan wählt sich selber ihr Ziel, die Ehre des Vaters zu verteidigen, überwindet das traditionelle Rollenbild, riskiert durch ihre Maskerade bewusst ihr Leben, meistert ihre Aufgabe eigenständig und ohne männliche Hilfe. Am Ende findet sie zu ihrer eigenen Identität.

In diesem Buch begeben wir uns auf die Suche nach Mulans Nachfolgerinnen im heutigen China.

Die niederländische Autorin Bettine Vriesekoop hat eine Karriere als erfolgreiche internationale Tischttennispielerin hinter sich. Während dieser Zeit kam sie in intensiven Kontakt mit der chinesischen Kultur und schloss ein Studium der Sinologie an. Seitdem arbeitet sie als China-Korrespondentin und veröffentlichte bereits mehrere Bücher über China.

Schon gleich fällt in Peking auf: "China ist von Schönheit besessen".
Wenn eine Frau in China einen guten Job ergattern möchte, dann muss sie sich bemühen,  kosmopolitisch, jung, dynamisch und sexy zu wirken. Kein Wunder, dass die Sparte der plastischen Chirurgie in China blüht... Aber was sagt das über die moderne Chinesin?

Die Autorin lässt ihre Leserschaft teilnehmen an Gesprächen mit sehr unterschiedlichen Frauen des modernen Chinas, und ermöglicht gleichzeitig interessante Blicke in die dortige geschichtliche Entwicklung der Frauenrolle, mythologische und philosophische Hintergründe.
Die Interviews führt sie sehr einfühlsam, sensibel und gleichzeitig unterhaltsam und zeigt dabei auf, wie sich die Welt der modernen chinesischen Frauen verändert.

Die Zeiten, in denen den chinesischen Mädchen die Füße zu Lotusfüßchen verkrüppelt werden, sind lange vorbei. Mao Zedong führte zwar die Gleichberechtigung der Geschlechter ein, reformierte die Ehegesetze, aber die Weiblichkeit verschwand unter Einheitskleidung, Geschlechtsneutralität und Verboten. Nach der Öffnung des Landes  gegenüber dem Westen durch Deng Xiaoping hat eine rasante Entwicklung eingesetzt. Aber die Folgen einer konservativen Gesellschaft sind auch heute in der Frauen- und Familienfrage noch deutlich zu spüren.

Die Interviewpartnerinnen wählte die Autorin sehr bunt und interessant: Wissenschaftlerinnen, Frauenrechtlerinnen, Unternehmerinnen, Prostituierte oder Lesbierinnen u.v.a.. So sind Einblicke in ein für Europäer unbekanntes China möglich.

Beispielsweise trifft die Autorin die 27jährige JiuJiu in einem Teehaus zum Gespräch. JiuJiu stammt aus einer wohlhabenden Künstlerfamilie, ist gut ausgebildet, materiell abgesichert und übernahm schon das Geschäft des Vaters. Die junge Frau hat Schwierigkeiten einen Ehemann zu finden und gilt in ihrem Alter bereits als „Shengnü“, ein sogenanntes Essensrestchen. Die chinesischen Männer ziehen es vor, nach „unten“ zu heiraten, d.h. Partnerinnen, die aus einem niedrigeren sozialen Milieu stammen oder weniger gut ausgebildet sind. Typisch für viele junge chinesische Frauen ist auch JiuJiu nicht richtig aufgeklärt worden.

Der Konfuzianismus beeinflusst die Menschen noch stark, alte Rollenmuster sind noch stark präsent.
Der große Männerüberschuss findet seinen Grund nicht nur in der früheren  Ein-Kind-Politik, sondern auch in der schon älteren Praxis, Jungen zu bevorzugen und weibliche Neugeborene auszusetzen oder zu töten. Die Folge ist ein weiteres typisches chinesisches Phänomen: die "nackten Zweige": eine riesige Zahl von unverheirateten Männern, die keine Chance haben, eine Frau zu finden. Die Folge sind Frauenhandel und Prostitution.

Fazit:
Eigentlich hatte ich ein trockenes Sachbuch erwartet, aber der Autorin gelingt durch ihren Schreibstil, die feinfühlige Art des Interviews und die spannende Wahl ihrer Gesprächspartnerinnen eine  interessante Einführung in das chinesische Frauenleben.
Mir hat gefallen, dass die modernen Verhältnisse durch geschichtliche, philosophische, politische und kulturelle Hintergründe ergänzt werden, ohne dass es im geringsten langweilig wird.

Mir ist aufgefallen, dass die Autorin  die Gespräche nur in Peking bzw. in Großstadtnähe führte. Ich kann mir vorstellen, dass Gespräche mit Frauen auf dem Land wieder ganz andere Aspekte und Blickwinkel offenbart hätten.

Das Cover der deutschen Ausgabe ist nicht schlecht, doch das holländische Original gefällt mir ein bisschen besser, aber das ist Geschmacksfrage.

Dieses Buch ist ein wunderbarer Einstieg, uns dem so unbekannten Land einmal von einer anderen, sehr persönlichen und menschlichen Seite zu nähern.