Starke Chinesinnen von heute

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Die niederländische Autorin Bettine Vriesekoop studierte und arbeitete längere Zeit in Peking. Sie kennt also die dortigen Veränderungen in den vergangenen Jahrzehnten. Nun beleuchtet sie im Sachbuch "Mulans Töchter" die Situationen von Chinesinnen von heute, besonders die der neu geschaffenen Mittelklasse. Als Ausgangspunkt wählt sie Mulan, die legendäre Soldatin, die als Mann getarnt in einem Heer für den Khan gekämpft haben soll. Bei den 16 Geschichten geht es hauptsächlich um die Selbstbestimmung der Frauen und den neuen Umgang mit der Sexualität.
Mir war Mulan als Disney-Filmfigur bisher unbekannt. Sie wird wegen ihres Mutes in China heute noch verehrt und ihr Andenken hochgehalten. Am Schluss des Buches ist eine schöne Ballade zitiert, die vor etwa 1600 Jahren entstanden ist.

Die Autorin berichtet über Gespräche mit Chinesinnen aus den verschiedensten Berufen. Diese führen heute ein völlig anderes Leben, stark sind sie offensichtlich nach wie vor, wenngleich sowohl Vergangenheit als auch Traditionen ihnen oft noch Fesseln anlegen. Mir scheint, dass einige vom aktuellen Wandel verunsichert und noch nicht so im Aufschwung angekommen sind wie die Männer.
Andrerseits übten Chinas Frauen bereits in den Zeiten der verkrüppelten, eingebundenen Füsse eine erstaunlich grosse Macht über die Männer aus, selbst wenn sie keine Rechte besassen. Das ist klingt wie ein Widerspruch, es illustriert jedoch die Frauenpower seit alters her, vor der viele Männer Angst haben und die sie wohl bis in alle Ewigkeit zu unterdrücken versuchen. Zwar ist die Quote der weiblichen Wissenschaftler höher als anderswo, doch in der Politik bewegt sie sich bei 4 Prozent.
"Frauen haben in der Politik also nichts zu sagen und keine berufliche Perspektive?", wird die Studentin Xia Yewei gefragt. – "Genau, Frauen haben in der Politik keine Zukunft", antwortet diese.

China hat sich gerade in den beiden vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt, und in den europäischen Touristenstädten haben handyposierende Chinesen die Japaner mit ihren Kameras abgelöst. Im viertgrössten Land der Welt gibt es nach wie vor ganz andere Familienstrukturen, Erwartungen und Verantwortlichkeiten als in unserm gewohnten Mitteleuropa. Die Reportagen über die kämpferischen Nachfolgerinnen Mulans sind recht interessant, und es liegt auf der Hand, dass die eigene bisherige Meinung zum Leben der Chinesinnen beim Lesen korrigiert wird.
Die einzelnen Kapitel sind mit Illustrationen angereichert. Dazu gibt es für das nötige Verständnis der Ausdrücke ein Glossar sowie eine Zeittafel zur Orientierung. Das poetisch-zarte und dennoch kräftige Coverbild erweckt auf dem Büchertisch sofort Aufmerksamkeit.
Die kurzen Texteinheiten sind eingängig und locker geschrieben. Ich hätte mir jedoch mehr als nur diese kurzen Infos gewünscht, vor allem: Wie gehen die vielen Frauen, die zur Unterschicht gehören und die noch weit mehr jeden Tag Kämpferinnen und Rebellinnen sein müssen, mit den Bedingungen der Moderne um?