Explosive Familie

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
emmmbeee Avatar

Von

Eine aufgelassene Zinkmine in der aussterbenden Stadt Norcoville und eine ungewöhnliche Familie, die Cardinals, deren 21 Kinder in Anarchie (und dennoch strenger Hierarchie) aufwachsen, wild, unabhängig und mit wachem Verstand. Sie tragen Nicknames wie Mustang, Jeanne d'Arc, Wapiti, Mahatma, Pharao, El Toro, Gelber Riese. Das Epizentrum der familiären Drehscheibe ist das dreisitzige Sofa, um das ständig ein harter Kampf ausgefochten wird.
Sie veranstalten unter sich Wettbewerbe, etwa wer die schönsten Frostbeulen hat, sind mutig und schlau. Am elften Geburtstag wird jedes in den Umgang mit Dynamit eingeweiht. Waghalsige Aktionen und überbordende Lebenslust, ja Lebenswut, dieser terroristischen Familie lassen die noch verbliebenen Stadtbewohner vor den Cardinals zurückzucken.
Dennoch hat sich mit dem Tod eines der Zwillinge eine tiefe Lücke aufgetan. Die wird erst recht deutlich, als sich die Familie anlässlich eines Kongresses nach Jahren wieder trifft. Jedes Familienmitglied fürchtet sich insgeheim davor, weil um des Zusammenhalts willen ja so vieles mit dem Mantel des Schweigens zugedeckt worden ist.
Aus der Sicht der einzelnen Geschwister, bei geschickten Übergängen der Abschnitte, werden in überraschenden Schritten ungeahnte Abgründe erhellt. Es geht um das das Verschwinden von Angèle, um das Scheitern des Vaters und die Rettung der Familie. Der explosive Plan dazu fordert jedoch sein Opfer.
Der lässige Ton passt durchaus zum Inhalt der Story. Drum ist der Leser sofort mittendrin im Geschehen, ja fühlt sich zugehörig. Man schwankt beim Lesen zwischen Lachen und Weinen und würde manchmal am liebsten ins Geschehen eingreifen.
In einer überaus lebendigen, farbigen Sprache erzählt Jocelyne Saucier eine atemberaubende, berührende Geschichte, die den Leser auch nach dem Schliessen des Buches nicht loslässt. Das stetige Wiederholen der Ereignisse hingegen schien mir unnötig und haben den Text merklich ausgebremst. Sehr passend hingegen das Coverbild.
Familien haben zahllosen Facetten, und "Niemals ohne sie" zeichnet eine davon. Ich möchte mit einem Zitat aus dem Buch abschliessen: "Die Familie ist eine Begegnung mit dem, was man am tiefsten in sich vergraben hat." Hier auch im wörtlichen Sinn.