Das ist nicht der große Bruder, den ich mir wünsche!

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Markus Bäcker ist 14, als er mit seinen Eltern innerhalb von Ostberlin umzieht. Es sind die 1960er Jahre und die Familie wohnt in der Nähe einer Chemiefabrik, die ständig von gelblichen Wolken und Gestank umgeben ist. Auch eine Bahnlinie ist in der Nähe, die die Wohnung regelmäßig zum Vibrieren bringt. Markus fühlt sich einsam, bis er auf Reiner Nilowsky trifft, den Sohn des Kneipenwirts von nebenan. Die beiden bekommen engeren Kontakt, "Freundschaft" ist aber wohl nicht das richtige Wort für ihre Beziehung. Reiner leidet sehr unter seinem alkoholkranken und gewalttätigen Vater. Reiner zeigt Markus die Welt rund um die Fabrik: Ältere Damen, die sich zu afrikanischen Gastarbeitern hingezogen fühlen, Carola, die nicht älter als 13 sein will, Voodoo-Rituale und lebensgefährliche Mutproben. Markus lässt sich von Reiner leiten und manipulieren, er gerät in ein grenzwertiges Abhängigkeitsverhältnis. Noch heikler wird es, als Markus sich in Carola verliebt, die Frau, die Reiner heiraten möchte. Das Buch ist ungewöhnlich. Es lässt sich zwar flüssig lesen, aber Reiners Sprechweise, diese häufigen Wiederholungen, bringen den Lesefluss immer mal wieder zum Stocken. Die handelnden Personen verhalten sich nicht unbedingt so, dass ich diese als "normal" empfinden würde. Jedenfalls solange Markus sich im Umfeld von Reiner befindet, eignet er sich nicht nur teilweise sein Verhalten, sondern auch seine Sprechweise an. Carola macht es ähnlich. Das Lebensgefühl im Ostberlin der 60er Jahre ist ganz gut getroffen, soweit ich das beurteilen kann. Ein besonderes Buch, vielleicht nicht unbedingt besonders gut, aber anders und durchaus gut lesbar. Übrigens: Wenn ich mir einen "großen Bruder" erschaffen könnte, sähe der aber ganz anders aus als Reiner Nilowsky!