Eine schwierige Dreiecksbeziehung

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buecherfan.wit Avatar

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“Nilowski”, der neue Roman von Torsten Schulz, spielt in den 70er Jahren in Ostberlin. Eines Tages zieht die Familie des 14jährigen Markus Bäcker vom Prenzlauer Berg in den Osten der Stadt in die Nähe eines stinkenden Chemiewerks, wo die Eltern neue Stellen antreten. Sie wohnen in der dritten Etage eines Hauses in der Nähe eines Bahndamms, wo die vorbeiratternden Züge das Haus zum Schwanken bringen. Im Erdgeschoss befindet sich die Kneipe Bahndamm-Eck. Markus leidet unter dem Schulwechsel und der Trennung von den alten Freunden, bis er eines Tages den 17jährigen Reiner Nilowski, den Sohn des Kneipenwirts kennengelernt. Sie freunden sich an, obwohl so gar nichts dafür zu sprechen scheint. Reiner ist seltsam, spricht eigenartig und entwickelt die merkwürdigsten Theorien. Markus bewundert ihn, fürchtet ihn aber zugleich. Durch Reiner lernt er dessen Freundin Carola Worgitzke kennen, die nicht älter als 13 aussehen möchte, seit ihr ihre Bonzeneltern ein peinliches Aufklärungsbuch geschenkt haben. Auch Markus verliebt sich in Carola, die sich ihm gegenüber in manchen Szenen verführerisch gibt, nur um ihn dann wieder zurückzuweisen.

Reiner hasst seinen Vater, der ihn in einer Szene brutal misshandelt, vermisst seine vor 13 Jahren verstorbene Mutter und trauert schließlich um seine Großmutter Carla. In diesem Roman gibt es noch eine ganze Reihe von skurrilen Figuren, zum Beispiel Arbeiter aus Mozambique, die im Chemiewerk zu Facharbeitern ausgebildet werden sollen, sich statt zu arbeiten aber lieber durch ausgedehnte Pausen auf die Revolution vorbereiten wollen, dazu eine Gruppe von älteren Frauen - allen voran Neger-Wally -, die mit den Gastarbeitern feiern.

Der Roman erzählt ausführlicher über die nächsten fünf bis sechs Jahre im Leben der jungen Leute, insgesamt über einen Zeitraum von etwa 20 Jahren. Es ist eine Geschichte von Freundschaft, Liebe und Abhängigkeit, wobei es Markus Bäcker nie wirklich gelingt, sich von Reiner Nilowski zu lösen. Vor allem ist es eine Geschichte vom Erwachsenwerden, ein Prozess, der für alle drei schmerzvolle und gefährliche Erfahrungen birgt. Und es ist natürlich auch ein Porträt des Lebens in der damaligen DDR.

Torsten Schulz ist ein interessanter, gut lesbarer Roman gelungen. Besonders bemerkenswert ist, dass er für Reiner eine eigene markante Sprache erfindet, die ihn durchgängig charakterisiert und von Carola, in geringerem Umfang auch von Markus imitiert wird. Reiner spricht in Ellipsen, setzt immer wieder neu an, wiederholt ständig Teile des Satzes. Gleich zu Beginn empfiehlt er zum Beispiel Markus, den Schwefelgestank tief einzuatmen, um mit Hilfe der Körperwärme Schwefeldioxid zur Blutdruckregulierung herzustellen: “Die ist, wenn du willst, dass sie so groß ist, wenn du das unbedingt, wenn du das hundertprozentig willst, ist sie auch so groß. Das ist sie.” (S. 5). Auch wenn er über den verhassten Vater spricht, behält er diese Manierismen bei, wird aber sehr derb, um nicht zu sagen vulgär in der Wortwahl. Im Lauf des Romans wird Reiner immer verrückter, entwickelt immer abstrusere Theorien zur Erklärung der Welt und in Bezug auf seinen Vater oder seine Beziehung zu Carola, so dass es für Markus Bäcker zunehmend schwierig wird, widerspruchslos zuzustimmen.

“Nilowski” ist ungewöhnlich, teilweise ziemlich merkwürdig, aber trotzdem lesenswert, wenn man bereit ist, sich darauf einzulassen.