Eine seltsame Freundschaft in der DDR

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nekleenelesemaid1978 Avatar

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Markus Bäcker ist 14 Jahre alt und wenig begeistert, als er mit seinem an den Rand von Ostberlin ziehen muss, weil diese jeweils eine Stelle im dortigen Chemiewerk bekommen. Er fühlt sich gar nicht wohl dort, wird er doch von seiner Schulklasse und seinen Freunden weggerissen. Irgendwann trifft er auf Reiner Nilowsky. Der Typ ist 17 Jahre alt und hat einige Eigenarten, die Markus zunächst komisch vorkommen, an die er sich aber auch schnell gewöhnt. Reiner strahlt eine komische Faszination auf Markus Bäcker aus und die beiden werden Freunde. Irgendwann lernt Markus auch Carola kennen, Reiners Freundin, welcher davon überzeugt ist, diese irgendwann zu heiraten. Markus verliebt sich mit der Zeit in Carola und kommt somit in einer mißliche Lage, weil er die Freundschaft zu Nilowsky nicht gefährden will. Niloswky verlangt einige skurile und teils auch lebensgefährliche Vertrauensbeweise, er verschwindet zwischenzeitig und kommt auch ins Gefängnis. Doch Markus verfällt in eine obskure Abhängigkeit zu Nilowsky und auch zu Carola, die ihn ein Leben lang begleiten wird.

Die Geschichte um Markus und Reiner surrt auch nach der Beendigung des Buches in meinem Kopf herum, weil ich mir immer noch nicht klar darüber bin, was ich davon halten soll. Das Buch bzw. der Roman ist gut und flüssig geschrieben. An die Art wie Nilowsky spricht hatte mich schnell gewöhnt und fand sie irgendwann auch nicht mehr als störend. Die Tatsache, dass Markus Bäcker teilweise ziemlich unterwürfig gegenüber Nilowsky war, stieß mir zwischendurch sauer auf. Dieses blinde Vertrauen, dass Nilowsky recht haben muss, eben weil er so komische Ansichten hat, ich weiß nicht, ob ich das hätte aufbringen können. Nilowsky ist drei Jahre älter, als sich die beiden Jungs kennenlernen. Markus soll ihm helfen seinen besoffenen Vater ins Bett zu bringen. Schon in dieser Szene erkennt man die kaputte Jugend und auch die geschunden Seele von Reiner Nilowsky, als dieser darüber sinniert, wie er seinen alten Herrn umbringen könnte. Als er Reiner wieder sieht, wird dieser gerade von seinem Vater verprügelt und Markus erkennt an diesem Bild, wie zerbrechlich Nilowsky eigentlich ist. Je mehr ich im Roman voran schritt, umso mehr erkannte ich, dass Reiner seinem Vater sehr ähnelte und ich glaube, dass er dies mit der Zeit auch selbst erkannte und somit zum Alkoholiker wurde - genau wie sein Vater. Reiner hasste seinen Vater, weil er meint, seine Mutter starb aufgrund des alkoholkranken Ehemannes und aus Trauer, weil sie in dieser Ehe mit ihm gefangen war.
Zwischendurch tat mir Nilowsky leid, weil er kein leichtes Leben hatte, aber irgendwann konnte ich viele seiner Schritte nicht mehr nachvollziehen und ich dachte mir, dass Markus schon viel früher es hätte schaffen müssen, sich aus dieser Abhängigkeit zu Reiner zu lösen. Diese Freundschaft wird ihn sein ganzes Leben verfolgen.
Zu Carola fand ich von an Anfang etwas anstrengend, da sie so sehr versuchte als quirliges Mädchen zu leben und partout nicht erwachsen werden wollte. Ich musste da irgendwie an "Die Blechtrommel" von Günther Grass denken, wo der dreijährige Oskar beschliesst nicht erwachsen zu werden und sein Körper sich auch nicht weiterentwickelt. Bei Carola verläuft das sehr ähnlich, und als sie beschließt anstatt 13 nun 20 Jahre alt zu sein, entwickelt sich auch ihr Körper dementsprechend.
Einerseits strahlen die Figuren sehr viel Naivität aus, trotzallem denken sie viel über ihr Handeln nach. Ihre Vergangenheit mit Selbstmord und Sterbehilfe und anderen Erlebnissen verfolgt sie ihr Leben lang, was sich wie ein unsichtbares Freundschafts- aber auch Verschwiegenheitsband um Markus, Reiner und Carola windet.
Torsten Schulz ist mit seinem Roman ein guter Roman gelungen. Ich hatte zwar keinen Lieblingscharakter, aber die Figuren waren gut herausgearbeitet und ich hatte zwischendurch auch einige Stellen entdeckt, wo ich mir ein Grinsen nicht verkneifen konnte. Wer skurrille Typen mag und auch ein wenig in die siebziger Jahre der DDR eintauche möchte, dem ist dieses Buch nur ans Herz zu legen.