Nilowsky

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lunamonique Avatar

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Familie und Freunde beeinflussen die eigene Entwicklung, das Leben. Gegen manche Auswirkungen kann man sich wehren. Der 14-jährige Markus Bäcker lässt erst mal alles zu. Den Umzug mit seinen Eltern in die Nähe der Chemiefabrik und des Bahndamms. Er vermisst seine Freunde, die gewohnte Umgebung und Schule. Reiner Nilowski reißt ihn aus der Scheuklappensicht, der sturen Abwehrhaltung. Der hässliche Ort gewinnt an Schönheit und schockiert gleichermaßen. Nilowsky ist drei Jahre älter als Markus und wird von seinem Vater, einem Säufer, mit einem Feuerhaken verprügelt. Markus kann sich der besonderen Anziehungskraft Nilowskis nicht entziehen. Mal bewundert er ihn für seine Stärke, sein Durchhaltevermögen und dann macht er ihm Angst. Nilowski redet umständlich, verquer, hat aller Hand Absurditäten auf Lager, weiß die Zugzeiten auswendig, verbringt seine Zeit gerne am Bahndamm und liebt Carola. Ein Mädchen, das glaubt beim dreizehnten Lebensjahr stehen bleiben zu können und sich strikt weigert, erwachsen zu werden. Es beginnt eine merkwürdige Dreiecksbeziehung, die geprägt ist von Nilowskys Logik und seltsamen Ideen. Bringt sich Markus mit der Freundschaft in Gefahr und schafft er es, sich aus der Abhängigkeit zu lösen?

Das Buch ist voller Emotionen, fragiler Momente. Es verströmt eine beklemmende Atmosphäre und gleichzeitig eine seltene Faszination. Autor Torsten Schulz hat ein vielschichtiges Drama geschaffen, das sich mit Ausgegrenztheit, Vorurteilen, Rassismus, eintönigen Lebensgewohnheiten im Randgebiet Berlins, Einsamkeit beschäftigt und allen voran eine Freundschaft stellt, die eigentlich keine ist. Markus begibt sich in eine deutlich spürbare und doch verdrängte Abhängigkeit. Nilowsky bestimmt fortan an sein Leben. Ein lehrreiches Buch. Als Persönlichkeit sollte man sich nie verlieren und früh lernen, Nein zu sagen, die Grenzen abzustecken. Die Geschichte ist voller ungewöhnlicher Ideen, z.B. wenn Nilowski Groschen auf die Bahnschienen legt, um sie zu verwandeln und Fragmente davon reisen zu lassen oder wenn Carola von ihren Eltern ein Buch über Sex erhält, das sie völlig verstört. Zerstörte Existenzen und ihre kurvenreichen Wege am Glück vorbei. Das Gute, der Ausweg ist immer wieder greifbar, wird aber selten eingeschlagen und ist nie von Dauer. "Nilowsky" hat einen eigenen Charme und bietet so manche Überraschung, Ironie und aufflammenden Humor. An seinem abgehackten Reden, telegrafischem Schreibstil ist Nilowsky leicht zu erkennen. Das Berlinerische, Slang und Akzent spielen in der Geschichte eine große Rolle. Die Charaktere haben alle ihre Eigenarten und Marotten. Nilowsky entwickelt immer mehr Ähnlichkeiten zu seinem Vater, dem fiesen Scheusal. Sein Ende scheint vorprogrammiert. Erwartungen bauen sich auf und werden nicht erfüllt. Der Leser wird wie Markus mitgerissen und mit schrägen Typen und Situationen konfrontiert. Kurze Kapitel sorgen für Lesefluss. Man möchte das Buch nicht mehr aus der Hand legen, obwohl es keine leichte Kost ist.

Das Cover mit dem Huhn auf den Bahnschienen und dem herannahenden Zug passt prima zu der schrägen Geschichte. Oft sind die Situationen brenzlig. Das Unberechenbare fesselt. „Nilowsky“ hebt sich von der Masse ab. Eine abenteuerliche Lektüre, jede körperliche Veränderung, eine Lebensveränderung. Obwohl es in einer anderen, vergangenen Zeit spielt, zeigt es der Gesellschaft den Spiegel auf. Weggucken nicht erlaubt. In jedem Menschen, steckt mehr als derjenige denkt oder andere es zu lassen. Beklemmend, verstörend, mit einem eigensinnigen Charme und großem Unterhaltungswert.