Nilowsky - Kennst Du nicht das Sprichwort?

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Markus Bäcker trifft nach dem - von ihm ungewollten - Umzug auf Reiner Nilowsky. Es entsteht eine bizarre, außergewöhnliche Freundschaft zwischen den beiden sehr unterschiedlichen Jungen. Nilowsky ist in Carola verliebt und auch Markus beginnt Gefühle für sie zu entwickeln. Aus Freundschaft zu Nilowsky verdrängt er diese jedoch.

Das Leben der beiden entwickelt sich noch mehr in unterschiedliche Richtungen, als anfangs zu ahnen war. Wollte Reiner doch nie wie sein Vater werden, hatte so gute Ansätze zu "mehr" und machte auf Markus (und den Leser) trotz all seiner verrückten Ideen doch den Eindruck, als könnte er es schaffen. Die DDR war jung, die dortigen Bürger noch nicht ganz so sehr gefrustet, es gab Hoffnung.

Doch während Markus, still und unauffällig, braver Sohn und angepasster Schüler, Schritt für Schritt seine Zukunft aufbaut, rutscht Nilowsky immer mehr ab. Die Zeit vergeht und Markus, zwar nicht glücklich, aber ohne große Sorgen und Probleme, steht immer mehr auf der Gewinnerseite. Das Ende ist ein wenig deprimierend, aber eigentlich nur logisch. Und es ist der Anfang für Markus Bäckers "freiem" Leben. Denn knapp 15 Jahre, nachdem die beiden Jungs sich begegnet sind, endet das Buch - und kurz darauf war im realen Leben dann der Mauerfall.

Torsten Schulz hat ein bezauberndes Buch geschrieben, das die Seele berührt und Spuren hinterlässt. So witzig, wie es streckenweise geschrieben ist, so melancholisch ist es an anderen Stellen dann wieder. Es erzählt auf ganz besondere Weise von der DDR, dem dortigen System, der andersartigen Freiheit der dort lebenden Menschen (sehr vieles im Buch wäre im Westen niemals möglich gewesen), der Gehirnwäsche, dem Umgang mit Umweltgiften und vor allem von Freundschaft und dem Erwachsenwerden. Es fällt auf, dass Markus, der immer zurückhaltend und hilfsbereit ist, Reiner nie beim Vornamen nennt, immer noch "Nilowsky". Das schafft und hält Distanz, das ist eigentlich kein Zeichen von Freundschaft. Und doch ist er ihm ohne Ausnahme treu ergeben und würde nie etwas tun, das Reiner schadet. Sogar die Geschichte mit dem Hühnerblut bestätigt dies: obwohl er soll, verteilt er nichts davon auf Carola, behauptet es aber. Reiner weiß es, sagt dazu aber nichts. Erst viel später bestätigt er Markus, dass es gut war, Carola nicht damit in Berührung zu bringen.

Nach und nach tauchen weitere Personen auf, die auf den ersten Blick unwichtig sind, im Gesamtbild aber zur Entwicklung der Geschichte und vor allem zu Markus' Entwicklung beitragen. Sprichworte sind für Reiner die Weisheit schlechthin, deshalb rezitiert er öfter welche. Und immer fragt er dann "Kennst Du nicht das Sprichwort?". Auch andere Personen geben Markus Sprichworte mit. Sein liebstes ist "Gibt nicht nur ne handvoll, gibt ein ganzes Land voll!"

"Nilowsky" ist keine lockerleichte Unterhaltung, auch wenn sich das Buch zügig lesen lässt und man es kaum weglegen kann. Aber es berührt tief und hallt lange nach.

Die Bücher vom Klett-Cotta-Verlag sind immer sehr hochwertig und sorgfältig gearbeitet. Auch dieses Buch ist auf stabilem, hochwertigem Papier gedruckt. Der Schutzumschlag zeigt ein Motiv, das man versteht, wenn man das Buch gelesen hat. Der Schriftzug des Titels ist leicht erhaben - ein Detail, das ich sehr mag. In meiner Ausgabe lag zudem ein sehr schönes Lesezeichen mit dem Titelbild und auf der Rückseite mit einer Beschreibung der wichtigsten Personen im Buch.