Was bleibt, sind viele Fragezeichen

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missmarie Avatar

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"Was wir wollen ist einfach", sagte Valentin Salmerak [...],"wir wollen, dass man Nincshof vergisst."

Ein ganzes Dorf soll in Johanna Sebauers Roman vergessen werden: Keine Touristen sollen mehr in das Wirtshaus kommen, keine Radfahrer die Fahrradstrecke zwischen Ungarn und dem Burgenland nutzen, die direkt durch Nincshof führt. Niemand soll mehr in den Chroniken von dem Dorf erfahren und auch kein Autofahrer ohne Ortskenntnisse die Häuser erreichen. Das ist das Ziel der "Oblivisten", einer eingeschworenen Gruppe aus Dorfbewohnern, die an einer alten Legende über das Dorf festhalten. Dies soll nämlich jahrhundertelang von der Außenwelt unentdeckt im Schilf gelegen haben. Die Entdeckung von außen gilt seither als Katastrophe, der man mit revolutionistischem Gedankengut begegnen sollte. Doch da gibt es leider die neu zugezogenen Isa Bachgasser, ehemalige Filmemacherin, die sehr an der Geschichte des Dorfes interessiert zu sein scheint. Und ihr italienischer Mann plant schon bald, seltene Ziegen im Dorf zu züchten. Ob das den Vergessenspläne so zuträglich ist?

Die Grundidee von Johanna Sebauers Roman "Nincshof" liest sich ganz lustig und originell. Dennoch konnte mich das Buch kaum überzeugen. Das hat viele Gründe, am gravierendsten ist für mich aber die Wahrlosigkeit, mit der die Handlung zusammengestellt worden ist. Da sind nicht nur mehrere Nebenhandlungen, die kaum Gewicht für die Haupthandlung spielen (der Streit von Erna mit der Nachbarin führt zwar zum nächtlichen Einbruch in den Pool, wird dann aber nie wieder thematisiert). Da geht es dann immer wieder um lange Diskurse über Philosophie und Soziologie, etwa wenn Valentin Salmerak einen Vortrag über die Geschichte des Oblivismus auf akademischem Niveau hält. Dann spielen Kriegsopfer in Ruanda und der Krieg in Bosnien eine Rolle. Als Leser bleibt man ratlos zurück. Möchte die Autorin ernsthaft die Geschichte indigenen Völker oder Genozide mit der Situation in Nincshof vergleichen? Dafür sind die Bezüge dann aber doch zu oberflächlich. Was bleibt: Ein großes Fragezeichen.

Sebauers Protagonistin wird vorgeworfen, zu distanziert, zu beobachtend zu sein. Die Kritik kann man 1:1 an die Erzählstimme weitergeben. Keine der Figuren ist mir wirklich nah gewesen, niemand hat mich richtig berührt, obwohl die Figuren reichlichst mit tragische Hintergrundstories ausgestattet wurden.

Zuletzt bleibt ein merkwürdiger Beigeschmack im Freiheitskampf der Nincshofer: Einmal zu viel wird hier für meinen Geschmack betont, wie sinnlos Steuern und demokratisches Gemeinwesen den Dorfbewohnern vorkommen. Wie sehr sie sich Eigenständigkeit jenseits des Staates bewahren wollen. Auch wenn dies nie direkt zum Ausdruck kommt, tut sich hier doch eine bedenkliche Nähe zur Argumentation von Reichsbürgern und rechten Siedlern auf. In jedem Fall sind die Bürger Ninchof, allen voran der Bürgermeister, alles andere als Demokraten.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Buch große Fragezeichen und einige Beklemmungen ausgelöst hat. Zwar ist die Idee gut gewählt (und das Cover entsprechend schön gestaltet), allerdings wird hier zu viel thematische angeboten. Dadurch entstehen Bezüge mit einem gewissen Beigeschmack.