Erschreckend

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strickli Avatar

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Liest man den Klappentext, hätte man noch das Gefühl haben können, sich für einen Krimi entschieden zu haben, der zufälligerweise im Pädophilenmilieu spielt. Doch spätestens nach dem ersten Kapitel ist dieser Zahn gezogen. Die Einblicke, die man dort und auch noch stärker im weiteren Verlauf des Buches gewinnt, lassen einen aufgrund der überaus starken, lebendigen Bilder nicht mehr so rasch los. Und die Informationen, die man über Pädophile hier erfährt, sind zum Teil detaillierter, als man sie haben möchte. Am Ende legt man das Buch ab und fühlt sich, durch den Kontakt mit dieser Seite der Welt, in gewissem Maße beschmutzt. Irgendwie ist es so auch in gewisser Weise logisch, dass das Wohnprojekt der angeblich rehabilitierten Sexualstraftäter lediglich deren Zwecken dient - nämlich genau dort weiterzumachen, wo sie bereits vor ihrer jeweiligen Verhaftung und Haftstrafe waren. Nur um so vieles praktischer, wenn alle ähnlich Gesinnten unter einem Dach leben und ihre Fantasien im Keller unter dem Keller in die Tat umsetzen können. Der Leser erfährt über unterschiedliche Vorlieben, über unterschiedliche Arten, sich die Opfer auszuwählen, und es bleibt auch nicht unerwähnt das stete Misstrauen der Gesellschaft (hier völlig zu recht), die Vorurteile, die halbherzigen Versuche Pädophiler, sich durch Hormonherapien von der Geissel befreien zu wollen.
Ein interessanter Nebenstrang ist der Einblick in die Leiden des ermittelnden Hauptkommissars, der aufgrund seiner Querschnittslähmung gezwungen ist, seinen Dienst vom Rollstuhl aus zu versehen. Die tagtäglichen Probleme, Anfeindungen und unüberwindbaren Hindernisse, denen Zucker ausgesetzt ist, sind ausgesprochen plastisch und klar dargestellt. Man spürt die Zerrissenheit, alleine klarkommen zu wollen, aber zum Teil Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen, sehr deutlich. Hinzu kommen Eheprobleme durch Missverständnisse, durch zu wenig Reden, durch Entfernung.
Insgesamt ein überaus fesselndes Buch, das einen lange nicht mehr loslässt, das einen ein Stück weit hinunterzieht in die dunkle Welt, die es zweifelsohne gibt, das einen zwingt, sich Gedanken über Vorurteile zu machen, das einem deutlich macht, dass Lesen nicht nur der Unterhaltung dient.