Tolle Geschichte aus der schwedischen Provinz

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Das Leben von Stella ist komplett aus den Fugen geraten: Trennung vom untreuen Freund, kein Job, kein Geld und nur eine vage Idee von ihrer beruflichen Zukunft. In dieser ausweglosen Lage erinnert sich Stella an das Häuschen auf dem Land, in dem ihre verstorbene Mutter aufgewachsen ist. Sie reist von Stockholm nach Laholm und muss feststellen, dass das Haus in Wahrheit eine verstaubte Bruchbude ohne fließend Wasser und Strom ist. Den holprigen Start auf dem Land überlebt Stella nur dank Nachbar Thor. Der Bio-Bauer greift ihr trotz seiner eher schroffen Schale tatkräftig unter die Arme.

Langsam gewöhnt sich Stella an das Landleben. Und sie beginnt zu ahnen, dass sie vielleicht weniger Großstadtmädchen ist, als sie bislang dachte. Und dabei spielen der sexy Nachbar, seine verschlossenen Kinder im Teenie-Alter und eine vorwitzige Ziege eine nicht unbedeutende Rolle…

Auf den ersten Blick mag sich die Beschreibung nach einem typischen „Chick Lit“-Plot anhören: versnobte Großstadtpflanze trifft auf wortkargen und hinterwäldlerischen Landwirt, der dank Muskeln an den richtigen Stellen trotzdem in ihr Beuteschema passt. Aber wie immer bei Simona Ahrnstedt steckt auch in „Nur noch ein bisschen Glück“ so viel mehr drin. Quasi im Vorbeigehen greift sie Themen wie Alltagsrassismus (denn Stella hat einen ihr unbekannten indischen Vater und hebt sich alleine deswegen vom Bild der Klischee-Schwedin ab und sticht insbesondere auf dem Land überall heraus), Bodyshaming, Mobbing und früher Tod eines Elternteils auf. Und obwohl ich „quasi im Vorbeigehen“ geschrieben habe, möchte ich damit nicht ausdrücken, dass Simona Ahrnstedt die Themen nur streift und ihnen nicht die notwendige Aufmerksamkeit zukommen lässt. Nein, ich finde sie kombiniert diese ernsten Punkte gekonnt und passend mit der Liebesgeschichte als zentralem Plot. Das mag auch daran liegen, dass sie nicht nur Schriftstellerin sondern eben auch Psychologin und Verhaltenstherapeutin ist.

In Simona Ahrnstedts letztem Buch „After Work“ hatte ich kritisiert, dass sie manche der gesellschaftskritischen Themen für meinen Geschmack zu plakativ und wiederholend eingebaut hat. Das finde ich in „Nur noch ein bisschen Glück“ besser gelungen.

Ein weiteres persönliches Highlight muss ich an der Stelle unbedingt erwähnen: das Setting. Ich liebe Nordeuropa und auch Schweden seit Kindertagen. Bei schwedischen Büchern für Erwachsene habe ich das Gefühl, dass diese häufig im hippen Stockholm angesiedelt sind. „Nur noch ein bisschen Glück“ ist endlich einmal ein Buch, das in der schwedischen Provinz spielt und sich sogar dem Unterschied und Spannungsfeld zwischen Stockholm und der Provinz widmet. Denn das ist in Schweden extremer als in Deutschland: es gibt den Ballungsraum Stockholm mit recht vielen Einwohnern. Aber der viel größere Teil des Landes ist dünn besiedelt und teilweise quasi vom Aussterben bedroht. Dass Simona Ahrnstedt eben dieses „platte Land“ als Setting gewählt hat, macht für mich einen Großteil des Charmes des Buches aus.

Für mich ist „Nur noch ein bisschen Glück“ der perfekte (Spät-)Sommerroman, der in mir die Sehnsucht geweckt hat, nach Schweden zu fahren. Zu gerne würde ich auf den Spuren von Stella und Thor (und Astrid Lindgren) wandeln. Simona Ahrnstedt konnte meine Erwartungen erneut erfüllen. Ich glaube, ich muss gleich recherchieren, ob ich schon etwas über ihr nächstes Buch (das zumindest auf Schwedisch hoffentlich bald erscheinen wird), herausfinden kann.