Zünde an dein Feuer
Benjamin Myers Erfolgsroman „Offene See“, erschienen bei DuMont, ich habe die 5. Auflage gelesen von 2022, hat mich erst einmal ein bisschen herausgefordert. Die Sprache ist eigangs sehr überladen, Natur, Häuser, See, alles wird personifiziert, der kleine Mensch Robert durchwandert seitenlang die Landschaft und es passiert: Nichts. Die Ausgangsfrage „Wo ist das Leben geblieben?“ passte da schon fast zu gut, ich habe mich das auch gefragt, Myers, wo bleibt das Leben? Aber zum Glück taucht auf Seite 35 Dulcie auf und hat mich aus dem Leseabbruch, der kurz bevorstand, gerettet, denn kaum ist sie da, wird alles lebendig und es gibt auf einmal sogar Humor der feinen Sorte. Dulcie ist ein ganz wunderbarer Charakter, trocken, ehrlich, zupackend, dem Leben zugewandt, eine famose Figur. Robert dagegen, von seinem Zuhause geflohen, um der bevorstehenden Ausbildung in der Zeche zum Bergarbeiter zu entkommen, steckt noch sehr in sich fest, auch er erlebt, was viele Menschen im Leben herausfinden: Von etwas wegzugehen heißt noch nicht, irgendwo anzukommen. Die See ist sein Ziel, seine Vorstellung von ihr bar jeder Romantik, eher brachial, kalt, mächtig, wie die See um Großbritannien herum auch oft ist. Dass er sein Leben nicht unter Tage verbringen möchte, absolut nachvollziehbar. Dass der 2. Weltkrieg, der gerade beendet ist, und seine Folgen ihn nachhaltig geprägt haben, obwohl er nicht in ihm aktiv sein musste: Erst recht nachvollziehbar. Myers, selbst 1976 geboren und vom Krieg dadurch so weit entfernt wie ich, findet verblüffend gute Gedanken in diesem ersten Teil zum Thema Krieg und zu den Emotionen, die Menschen damit verbinden. „Krieg dauert an, lange nachdem die Schlachten geendet haben, und damals fühlte sich die Welt an, als wäre sie voller Löcher.“ (S. 15) Oder, ebenda: „Denn niemand gewinnt einen Krieg wirklich; manche verlieren bloß ein bisschen weniger als andere.“ Oder „Krieg ist Krieg: Er wird von wenigen angezettelt und von vielen geführt, und am Ende verlieren alle.“ (S. 48) Wie vielen Herrschenden möchte man das aktuell hinter die Ohren tackern!!!
Die Sprache ist mir zu viel, die vielen unnötigen Adjektive und Nebensätze, nicht ein Satz geht grade raus. Ich bin ein Fan von bildhafter Sprache, aber man kann es auch übertreiben, was teilweise auch unnötige Stilblüten erzeugt, die einfach unangemessen sind, der Vergleich einer dichten Hecke mit den Stacheldrahtrollen von Bergen-Belsen trug in dem Moment weder zur Handlung noch sinnvoll zur Atmosphäre bei, das muss nicht sein, damit wird viel Leid bagatellisiert. (S. 22)
Robert trifft auf seiner Reise zur See wie gesagt auf Dulcie, die zurückgezogen in einem Cottage lebt und ihm anbietet, sich bei ihr etwas von den Reisestrapazen zu erholen. Ich fand es sehr berührend, wie Robert ganz langsam eine zarte Beziehung zu Butler und Dulcie aufbaut. Die Konversationen zwischen den beiden sind zauberhaft, viel wird aneinander vorbeigeredet, viel aber auch aufeinander eingegangen, dabei sind die zwei so unterschiedlich, Robert mit seiner Vorsicht und Dulcie mit ihrer Direktheit.
Um Dulcie rankt sich ein tragisches Geheimnis, das Robert mit der Zeit ergründen kann, Robert wiederum ist relativ orientierungslos in seinem Leben und Dulcie schafft es, ihn mit der Nase auf Kultur zu stoßen, was Robert eine ganz neue Weite eröffnet, eine, die vielleicht noch größer und mächtiger ist als die Offene See, die er sucht.
Wunderschöne Gedanken über Dichtung schenkt uns Myers: „Dichtung ist eine Trittleiter zwischen den Jahrhunderten, vom antiken Griechenland zu morgen Nachmittag.“ Ja verdammt, 100 Prozent! Dann noch ein paar Leseempfehlungen im Buch un ein Buch im Buch, herrlich.
Myers findet immer wieder Bilder für die See, die ich so noch nicht gelesen habe, was ja gerade beim Topos Meer nicht leicht ist. Das Bild vom Meer als einer Sanduhr, die sich immer mit den Gezeiten wieder dreht, das ist eine wirklich starke Schöpfung von ihm. Mit den Kreisbewegungen hat er es, wie die Gezeiten pendelt auch Robert zwischen Meer und Dulcie und kommt aber immer wieder bei ihr an. Irgendwann stellen sie es beide einfach nicht mehr in Frage, wie die Zeit anfängt zu verschwimmen und irrelevant zu werden, wie die Möglichkeit, dass Robert weiterreist, einfach verschwindet und er immer mehr Teil von Dulcies Kosmos wird. Es hat etwas Heilendes. Robert repariert nicht nur die Hütte auf Dulcies Grundstück.
Wach ist Myers auch für die Strömungen unserer Zeit: Seine Spekulation über den 3. Weltkrieg macht mich einfach nur fertig. Das Buch ist ursprünglich von 2019 – da ist Myers ganz schön hellsichtig, vieles, was er beschreibt und durchdenkt, ist leider so 2024/25... „und zu gegebener Zeit wird es wieder einen wütenden kleinen Mann geben“ – gerade gibt es diverse, und das ist einfach schrecklich. Da brauchen wir alle einen Robert und eine Dulcie, um zwischendurch mal abtauchen zu können.
Im Finale des Buches überzieht Myers für mich das Happy End, für Robert: Ein irgendwie möglicher Lebensweg, den er da findet, aber auch ein wirklich sehr unwahrscheinlicher, zumal zu der Zeit. Mich verstimmt so etwas immer, dieses „alles ist möglich“, weil es für so viele Menschen einfach nicht möglich ist, diese Geschichten gaukeln ihnen und denen, die eigentlich ermöglichen sollten, etwas vor, was nicht ist und unter Umständen dann verhindert, dass wir endlich tun, damit solche Lebenswege wirklich und immer möglich sind und nicht nur im Reich der Literatur. Bildungsdurchlässigkeit ist ein Mythos, noch immer. Robert heilt Dulcie, indem er sie zurück zur Kultur uns den Menschen bringt. Für mich hätte das an positivem Kitsch gereicht, er hätte Reisender werden können oder Seefahrer oder Lehrer, all diese Dinge, nicht aber das, was ich jetzt nicht spoilern möchte, auch wenn ich den Kreisschluss verstehe. Die offene See wurde irgendwann im Buch verloren auf den letzten Metern, das fand ich auch ein bisschen schade.
Insgesamt mochte ich die Geschichte um die beiden aber sehr, sie hat mir das Herz gewärmt und die Trockenheit, die sich durch diese zwei etwas sperrigen Charaktere durch das Buch zog, hat mich wirklich erheitert. Die Sprache bei den vielen Naturbetrachtungen war mir bis zum Ende zu opulent. Es ist ein Buch, das viele Themen streift, das größte dabei ist vielleicht das Hinschauen, Chancen geben, Geduld haben, offen sein, was unsere Zeit gerade sehr brauchen kann. Mancher Funke ist tief verborgen. Es ist wichtig, Zeit und Luft zu geben, damit ein Feuer brennen kann.
Die Sprache ist mir zu viel, die vielen unnötigen Adjektive und Nebensätze, nicht ein Satz geht grade raus. Ich bin ein Fan von bildhafter Sprache, aber man kann es auch übertreiben, was teilweise auch unnötige Stilblüten erzeugt, die einfach unangemessen sind, der Vergleich einer dichten Hecke mit den Stacheldrahtrollen von Bergen-Belsen trug in dem Moment weder zur Handlung noch sinnvoll zur Atmosphäre bei, das muss nicht sein, damit wird viel Leid bagatellisiert. (S. 22)
Robert trifft auf seiner Reise zur See wie gesagt auf Dulcie, die zurückgezogen in einem Cottage lebt und ihm anbietet, sich bei ihr etwas von den Reisestrapazen zu erholen. Ich fand es sehr berührend, wie Robert ganz langsam eine zarte Beziehung zu Butler und Dulcie aufbaut. Die Konversationen zwischen den beiden sind zauberhaft, viel wird aneinander vorbeigeredet, viel aber auch aufeinander eingegangen, dabei sind die zwei so unterschiedlich, Robert mit seiner Vorsicht und Dulcie mit ihrer Direktheit.
Um Dulcie rankt sich ein tragisches Geheimnis, das Robert mit der Zeit ergründen kann, Robert wiederum ist relativ orientierungslos in seinem Leben und Dulcie schafft es, ihn mit der Nase auf Kultur zu stoßen, was Robert eine ganz neue Weite eröffnet, eine, die vielleicht noch größer und mächtiger ist als die Offene See, die er sucht.
Wunderschöne Gedanken über Dichtung schenkt uns Myers: „Dichtung ist eine Trittleiter zwischen den Jahrhunderten, vom antiken Griechenland zu morgen Nachmittag.“ Ja verdammt, 100 Prozent! Dann noch ein paar Leseempfehlungen im Buch un ein Buch im Buch, herrlich.
Myers findet immer wieder Bilder für die See, die ich so noch nicht gelesen habe, was ja gerade beim Topos Meer nicht leicht ist. Das Bild vom Meer als einer Sanduhr, die sich immer mit den Gezeiten wieder dreht, das ist eine wirklich starke Schöpfung von ihm. Mit den Kreisbewegungen hat er es, wie die Gezeiten pendelt auch Robert zwischen Meer und Dulcie und kommt aber immer wieder bei ihr an. Irgendwann stellen sie es beide einfach nicht mehr in Frage, wie die Zeit anfängt zu verschwimmen und irrelevant zu werden, wie die Möglichkeit, dass Robert weiterreist, einfach verschwindet und er immer mehr Teil von Dulcies Kosmos wird. Es hat etwas Heilendes. Robert repariert nicht nur die Hütte auf Dulcies Grundstück.
Wach ist Myers auch für die Strömungen unserer Zeit: Seine Spekulation über den 3. Weltkrieg macht mich einfach nur fertig. Das Buch ist ursprünglich von 2019 – da ist Myers ganz schön hellsichtig, vieles, was er beschreibt und durchdenkt, ist leider so 2024/25... „und zu gegebener Zeit wird es wieder einen wütenden kleinen Mann geben“ – gerade gibt es diverse, und das ist einfach schrecklich. Da brauchen wir alle einen Robert und eine Dulcie, um zwischendurch mal abtauchen zu können.
Im Finale des Buches überzieht Myers für mich das Happy End, für Robert: Ein irgendwie möglicher Lebensweg, den er da findet, aber auch ein wirklich sehr unwahrscheinlicher, zumal zu der Zeit. Mich verstimmt so etwas immer, dieses „alles ist möglich“, weil es für so viele Menschen einfach nicht möglich ist, diese Geschichten gaukeln ihnen und denen, die eigentlich ermöglichen sollten, etwas vor, was nicht ist und unter Umständen dann verhindert, dass wir endlich tun, damit solche Lebenswege wirklich und immer möglich sind und nicht nur im Reich der Literatur. Bildungsdurchlässigkeit ist ein Mythos, noch immer. Robert heilt Dulcie, indem er sie zurück zur Kultur uns den Menschen bringt. Für mich hätte das an positivem Kitsch gereicht, er hätte Reisender werden können oder Seefahrer oder Lehrer, all diese Dinge, nicht aber das, was ich jetzt nicht spoilern möchte, auch wenn ich den Kreisschluss verstehe. Die offene See wurde irgendwann im Buch verloren auf den letzten Metern, das fand ich auch ein bisschen schade.
Insgesamt mochte ich die Geschichte um die beiden aber sehr, sie hat mir das Herz gewärmt und die Trockenheit, die sich durch diese zwei etwas sperrigen Charaktere durch das Buch zog, hat mich wirklich erheitert. Die Sprache bei den vielen Naturbetrachtungen war mir bis zum Ende zu opulent. Es ist ein Buch, das viele Themen streift, das größte dabei ist vielleicht das Hinschauen, Chancen geben, Geduld haben, offen sein, was unsere Zeit gerade sehr brauchen kann. Mancher Funke ist tief verborgen. Es ist wichtig, Zeit und Luft zu geben, damit ein Feuer brennen kann.