Historischer Gemischtwarenladen

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hurmelchen Avatar

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Wie es scheint, wollte Bernhard Schlink mit seinem neuen Roman "Olga" noch einmal an seinen Bestseller "Der Vorleser" anknüpfen und ist damit grandios gescheitert.
Die Lebens-, Leidens- und Liebesgeschichte der titelgebenden Olga umspannt fast ein ganzes Jahrhundert und erzählt doch erschreckend wenig.

"Sie macht keine Mühe, am liebsten steht sie und schaut."
Mit diesem Satz beginnt Schlinks Roman und damit ist seine Protagonistin Olga auch schon trefflich beschrieben.
Das Waisenmädchen wächst bei seiner lieblosen Großmutter in ärmlicher Umgebung in Pommern auf und freundet sich mit den Kindern des örtlichen Gutsbesitzers an.
Während sich der Sohn Herbert in Olga verliebt, bleiben seine Schwester Victoria und die Eltern, dem nicht standesgemäßen Mädchen gegenüber stets abweisend.
Olga und Herbert sind sich aber auch als junge Erwachsene weiter zugetan, obwohl ihre Liebschaft keine Zukunft hat.
Während Herbert von der Weite verschiedener Landschaften in Nah und Fern und von Abenteuern träumt, wird die pragmatische Olga, trotz mancher Widerstände, Lehrerin.
Herbert kämpft erst in Südwest Afrika gegen die Herero, um später, noch vor dem 1. Weltkrieg, an einer Arktisexpedition teilzunehmen und für immer verschollen zu bleiben.
Olga schreibt ihm viele Jahre lang Briefe und lebt weiter mit dem Gespenst ihres jugendlichen Liebhabers, während sie selbst den 1. und 2. Weltkrieg, die Flucht und die muffige Nachkriegszeit über- und erlebt. Hochbetagt stirbt sie, ohne noch einmal einen anderen Mann geliebt zu haben.

Der Völkermord an den Herero, der erste Weltkrieg, die Weimarer Republik, der zweite Weltkrieg, die Flucht aus Pommern an dessen Ende, sowie die Nachkriegszeit in der jungen Bundesrepublik bis in die 1970er Jahre, das alles umspannt Schlinks Buch und bleibt doch ein historischer Gemischtwarenladen.
Zu keiner Zeit werden diese wichtigen Eckdaten deutscher Geschichte je wirklich ausgelotet.
Im Sauseschritt durch die Epoche. Das ist schade, steckt doch in Olgas Geschichte eigentlich ein großer Roman. Wenn, ja wenn das Ganze und Olga als Person nicht so langweilig daherkämen...
Nachdem Olga aus Pommern geflohen ist und sich am Neckar niedergelassen hat, lernt sie eine Familie kennen, bei der sie sich als Näherin verdingt. Dem Sohn der Familie, Ferdinand, bleibt sie als Großmutterfigur ein Leben lang verbunden.
Die Passagen zwischen Olga und Ferdinand erinnern sehr stark an die ähnliche Paarung - ältere Frau, junger Mann - im "Vorleser". Wenn auch zwischen Olga und Ferdinand keine Liebesbeziehung herrscht, so ist die lebenslange Verbundenheit doch das gleiche Thema.
Aber alles, was beim "Vorleser" berührend und überraschend war, wirkt hier schal und altbacken.
Schlinks Erzählstil ist ebenfalls gewöhnungsbedürftig. In drei Teile gegliedert, erzählt der erste Teil sehr distanziert von Olgas Leben bis zum Kennenlernen der Familie Ferdinands. Fragt man sich bis dahin, warum die Erzählung oberflächlich und emotionslos erscheint, wird klar, dass Olgas Leben von Ferdinand erzählt wird.
Teil zwei fokussiert nunmehr Ferdinand und Teil drei wird zum Briefroman, da er fast komplett aus den Briefen Olgas an den verschollenen Herbert besteht.
Dieses Seite um Seite schwülstige Sehnen, kommt daher wie Hedwig Courths Mahler und hat mich ob ihrer Deutschtümelei teilweise regelrecht abgestoßen:

" ...wenn Du beim 'Lied der Deutschen' neben mir stehst, und Dir zuerst Deutschland über alles geht und Dich dann die deutschen Frauen und die deutsche Treue begeistern und Du mir zulächelst und meine Hand nimmst."

In einem ihrer Briefe bezeichnet Olga Ferdinand als langweilig, was er nach seiner eigenen Meinung auch wirklich ist:
"Aber ich bin nun einmal ein durchschnittlicher Mensch mit einem durchschnittlichen Leben. Ich habe nichts Großes geleistet. Ich habe einen Blick für die Größe anderer und wäre ein guter Chronist eines faustischen Freundes gewesen oder eines, der sich im Lebensbaum verstieg. Ich hatte keinen solchen Freund. Aber ich hatte Olga, meine Erinnerungen an sie waren mir kostbar, und ihr Chronist zu sein war mir genug."
So ist Ferdinand der Chronist Olgas, deren Leben jedoch auch eher bescheiden und eintönig daherkommt.
Zwei Langweiler also als Protagonisten? Ich fürchte, ja!
Der Antiquar, bei dem Ferdinand Olgas Briefe findet, sagt:
"Geschichte ist nicht die Vergangenheit, wie sie wirklich war. Es ist die Gestalt, die wir ihr geben."
Mit der Gestalt Olgas hat Schlink es leider versäumt, Substantielles zu erzählen.