Lebenslange Liebe zu einem, der die Weite sucht

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bücherhexle Avatar

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Der Roman ist in drei Teile aufgeteilt. Im ersten Teil berichtet ein unbekannter Erzähler.

Wir lernen Olga als kleines Mädchen in Schlesien kennen: Schon sehr früh hat sie Freude am Beobachten und Lernen, obwohl sie aus sehr armen Verhältnissen stammt. Eine Nachbarin nimmt sich ihrer an, lehrt sie lesen und schreiben, womit sich ihr eine neue Welt eröffnet. Leider sterben die Eltern früh, das Kind muss Tilsit verlassen und kommt zur ungeliebten Großmutter. Auch dort versucht Olga beflissen immer mehr zu lernen, mit anderen Kindern kann sie nicht viel anfangen. Hier in Pommern lernt sie Herbert kennen, der auch anders ist. Herbert will immerzu rennen, er ist reich, kommt aus einer Guts- und Fabrikantenfamilie, in der das Kaiserreich geschätzt ist und dessen Expansionsabsichten unterstützt werden. Er träumt von der Weite, möchte alles hinter sich lassen. Trotzdem sind sich die beiden sehr nahe, es entspinnt sich zunächst eine sehr intensive Jugendfreundschaft, die später in eine Liebe mündet: „Sie blickten einander in die Augen und waren nur Auge und Seele“ (S. 39)

Aus eigener Kraft schafft Olga die Aufnahme ins Lehrerinenseminar und wird zur Lehrerin ausgebildet. So kann sie auf eigenen Füßen stehen. Herbert treibt es in die Welt: In Deutsch-Südwest kämpft er gegen die Herero, reist nach Argentinien, Brasilien, in den Schnee Kareliens und Sibiriens. Immer kommt er zu Olga zurück. Gemeinsam erleben sie romantische Tage ihrer „Wald- und Wiesenliebe“. Bis er schließlich eine Forschungsreise in die Arktis anführt. Dort wird er vom Wintereinbruch überrascht und Olga muss bangen…
Über all die Jahre werden diezeitgeschichtlichen Hintergründe und Konflikte nicht ausgespart.

Was diese Geschichte daneben so bedeutsam macht, ist die Sprache des Autors. Schlink schreibt klar und präzise. In vielen Sätzen liegt so viel Weisheit, Wahrhaftigkeit und auch Poesie. Die Dialoge der beiden jungen Menschen, in denen sie ihre Lebenseinstellungen und Ziele vergleichen, sie ihre grundsätzlichen Unterschiede erkennen, haben ungemein viel Tiefe. 

Letztendlich möchte Olga gern mehr von Herbert, weiß jedoch, dass er dazu nicht fähig ist, und sie richtet sich ihr selbständiges Leben passend ein. Sie ist eng mit einer Bauernfamilie befreundet und kümmert sich intensiv um einen kleinen Jungen namens Eik. Neben Herberts Fernweh kommt natürlich noch erschwerend hinzu, dass seine Familie eine standesgemäße Heirat von ihm erwartet. In gewisser Weise flieht er auch vor einer Entscheidung.

Im zweiten Teil des Romans taucht eine neue Person auf und berichtet als personaler Erzähler über seine Erlebnisse mit Olga. Zeitlich ist dieser Teil nach dem ersten angesiedelt und schon schnell wird klar, dass der Erzähler Olga sehr nahe stand.

Ein dritter Teil besteht aus den Briefen Olgas, die sie ihrem Herbert schickte, als dieser Richtung Arktis unterwegs war. Die Briefe geben Einblick in Olgas Innerstes, ihr Inhalt klärt manches zuvor Gelesene auf wunderbar schlüssige Weise auf.

Ich möchte bewusst nicht mehr vom Inhalt preisgeben. Man muss es selbst erlesen! Dieses Buch ist einmalig konstruiert: Die drei Teile sind auch in Stil und Sprache sehr unterschiedlich, passen aber hervorragend in das Gesamtkonzept.

Diese Geschichte bleibt in Erinnerung. Sie hallt lange nach. Man lernt eine große Liebe kennen mit all den Schwierigkeiten, die die Zeit in Politik und Gesellschaft mit sich brachte. Ein großartiges Stück Literatur!