Erschreckend, Aufschreiend, Aktuell

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mianna Avatar

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Die Autorin de Robertis beschreibt in ihrem Roman die junge Argentinierin Perla in der Auseinandersetzung mit dem politischen Geschehen während der Militärdiktatur in Argentinien. Als ein nasser, nackter Mann, ein „Verschwundener“ in Perlas Wohnung in Buenos Aires auftaucht ist sie gezwungen sich mit der Geschichte ihres Landes auseinanderzusetzen. Ihr Vater, der Marineoffizier scheint ebenfalls in die Verschleppung verwickelt zu sein. Während der Militärdiktatur wurden 30000 Andersdenkende verschleppt, gefoltert und gefesselt und betäubt aus dem Flugzeug in den Atlantik geworfen. Wohlbehütet aufgewachsen, mit ihrer hübschen Mutter und dem strengen Vater beginnt sie erstmals Gegebenes zu hinterfragen.

Dieser Roman ist inhaltlich gut recherchiert und spannend aufgearbeitet. Fakten zu Argentiniens Militärdiktatur wurden mit den Emotionen der Hauptfigur Perla verknüpft. So wurde das Buch in der unverschnörkelten und sehr direkten Schilderung von Brutalität gegenüber Menschen verbunden mit den gut spürbaren Emotionen von Perla und anderen Beteiligten besonders mitreißend. Die klare, unumwundene, knappe Erzählweise führt dem Leser das Geschehen vor Augen, wodurch nebenbei Platz für die allumfassende Emotionalität geschaffen wird. Gefangen von der Hilflosigkeit der Opfer, der Brutalität der Täter, der Trauer und Wut, sowie dem Lebensdrang der Angehörigen wird die harte Realität real.
Die Charaktere Perla und Gabriel, sowie weitere Randpersonen bekommen einen angemessenen Rahmen, um für sich (sympathisch oder nicht) zu wirken. Neben Perlas Innenwelt, werden auch die Gedanken und Gefühle der anderen handelnden Personen verständlich und bildlich nähergebracht.
Die gehobene Sprache ist geprägt durch Metaphern. Der Schreibstil ist fließend und die Aufteilung in die Kapitel lässt den Leser in das Geschehen versinken. Mit durchgehenden Bezeichnungen, wie "der Mann" oder "die Frau" macht de Robertis die Opfer zu dem was sie in der Diktatur waren - Gegenstände ohne Persönlichkeit und Identität.
Die Schilderung des Verschwundenen ist für mich bisher noch nicht ganz zu verstehen. Immer wieder wird in Dialogen zwischen dem Mann und Perla und Monologen der Beiden deutlich, dass es den Mann gar nicht gibt, dass er tod ist, aber gleichzeitig in Perlas Wohnzimmer präsent ist. Umso mehr überrascht es, dass Perla in dem eigentlich nicht Lebenden ihren Vater erkennt, ihn riecht und mit ihm Dialoge führt. Möglicherweise könnte dieses Stilmittel verständlicher umgesetzt werden.
Im Hinblick auf die Aktualität/ bzw die Realität der Geschichte Argentiniens, wird deutlich, dass die Autorin in ihrem Buch ein nicht endendes Verbrechen an zehntausenden Menschen aufgearbeitet und in diesem Roman geschickt mit dem konkreten Erleben von der Hauptperson Perla verwoben hat. So wird das große, ungeheuerliche Verbrechen der Diktatur in Argentinien auch im Einzelfall spürbar und greifbar.