Gelungener Auftakt zu einer neuen Urban-Fantasy-Reihe

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marionhh Avatar

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Nach dem Krieg kehrt der Soldatenpriester Tomas Piety mit den verbliebenen Kämpfern seines Trupps in seine Heimatstadt Ellinburg zurück. Dort muss er feststellen, dass sein Imperium – Tavernen, Spielkasinos, Bordelle – fest in fremder Hand sind, seine Tante im Kloster ist und die Menschen in seinem Viertel Hunger leiden. Er ist fest entschlossen, alles zurückzugewinnen, und wird dabei kräftig von seinen Leuten unterstützt, die er nunmehr Pious Men nennt. Bald kommt er wieder zu einigem Wohlstand und Ansehen. Dann jedoch ist er gezwungen, die Agentin der Königin Ailsa als Schankmagd einzustellen. Diese zeigt ihm die geheimen Machenschaften der Fremden in Ellinburg auf, warnt ihn vor der totalen Übernahme der Stadt und überzeugt ihn schließlich den Kampf gegen die mächtigen Fremden aufzunehmen…

Fesselnd, atmosphärisch dicht und mit bildhafter Sprache erzählt – dem Autor ist ein fulminanter Start in eine neue Urban-Fantasy-Reihe gelungen, die Lust auf Mehr macht. Kriegerisch ist die Welt, die er entwirft, archaisch und düster, gewalttätig und unmoralisch sind ihre Menschen, und gerade das macht sie so realistisch. Es wird viel geflucht, gekämpft und getötet, die ehemaligen Soldaten leiden an Kriegs-Traumata und sind oft schwer zu bändigen. Die Gesellschaft Ellinburgs besteht zum größten Teil aus hart arbeitenden Handwerkern, Kriminellen und einigen dekadenten niedrigen Adligen, es herrscht Vielgötterei. Der Gouverneur und seine Stadtwache sind korrupt. Der Bildungsgrad ist niedrig, die Kluft zwischen arm und reich dagegen groß, die Menschen führen ein hartes Leben fernab der Hauptstadt, Idealismus und Naivität können sie sich nicht leisten. Leben möchte man hier nicht. Und doch gelingt es dem Autor, seinen Figuren jeweils einen vielschichtigen Charakter zu verleihen und sehr unterschiedliche Persönlichkeiten zuzuweisen, und besonders sein Erzähler, Tomas Piety, besticht durch einen starken Willen, Moral und Durchsetzungskraft, die ich in diesem Umfeld ungewöhnlich und sehr viel versprechend fand.

Obwohl selbst durch Kindheit und Krieg schwer traumatisiert, schafft Piety es immer wieder, seine Leute zu motivieren, sie folgen ihm und erkennen seinen Führungsanspruch an, und dadurch gelingt ihm der Spagat zwischen listigem Stratege, erbarmungslosem Kämpfer, Retter in der Not, Robin Hood und sogar Beichtvater und Trostspender – das fand ich wirklich faszinierend. Als Ich-Erzähler befleißigt er sich einer eher simplen Sprache, mitunter neigt er auch zu Wiederholungen, was seine geringe Schulbildung deutlich macht. Dennoch schafft er es, tiefe Einblicke in sein Seelenleben und das seiner Vertrauten zu geben, und dieser Erzählstil verleiht der Geschichte zusätzlich Authentizität. Außerdem beweist er durchaus Humor, zum Beispiel indem er in Anlehnung seines Nachnamens „Frömmigkeit“ seine Bande „die frommen Männer“ nennt, einerseits ein sprechender Name, denn in der Tat sind seine Anhänger bei aller Gewalt sehr gläubige (und abergläubische) Menschen, andererseits natürlich sehr ironisch.

Im Laufe der Geschichte gewinnt Ailsa immer mehr an Einfluss, sie infiltriert die Pious Men und manipuliert Tomas immer mehr, so dass er nur noch auf ihre Anweisung hin handelt und redet. Dies lässt sich eigentlich nur durch seine Angst vor einem weiteren großen Krieg und der damit verbundenen Vernichtung der Stadt und seiner Bewohner erklären. Auch die anderen Charaktere sind sehr gut herausgearbeitet, und besonders Bloody Anne hatte es mir angetan. Sie bildet als einzige Frau im Team der Pious Men ein starkes Gegenstück zur weiblichen Hauptfigur Ailsa, steht Tomas emotional am nächsten, da sie beide die gleichen Moral- und Wertvorstellungen haben, und kann es auch in punkto Intelligenz und Durchsetzungskraft mit ihm aufnehmen.

Magie spielt ebenfalls eine Rolle, wie es sich für ein ordentliches Fantasy-Werk gehört. Sie bleibt lange im Hintergrund und ist eher eine Sache der geheimnisvollen Fremden, nicht der Einheimischen. Richtige Magier gibt es ebenso wenig wie richtige Ärzte, es gibt auch keine Schulen dafür, was auch wieder dem generell niedrigen Bildungsgrad der Bevölkerung entspricht. Sie tritt dann aber stark in Gestalt den Jungen Billy the Boy (nicht etwa „Billy the Kid“!) in Aktion. Billy hat zweifellos außergewöhnliche Fähigkeiten, die Tomas auf skrupellose Weise für sich und seine Zwecke zu nutzen weiß, und besteht sogar ohne bessere Ausbildung gegen die fremden Magier. Es dürfte äußerst spannend werden zu erfahren, wie besonders seine Geschichte weitergeht. Aber auch Tomas und Aisla, Anne und die Pious Men haben ihr Werk noch nicht vollbracht, und wir dürfen uns auf weitere spannende Bände freuen.