Spannendes Setting und untergründiger Humor

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Was mir an Andrej Kurkows Schreibstil neben der hohen sprachlichen Qualität immer besonders gut gefällt, ist der untergründige Humor, den er trotz aller Dramatik gekonnt zwischen die Zeilen webt.
Die Lebensumstände seiner Held:innen sind nie leicht und nie geschönt, liegen auch für die Lesenden oft außerhalb ihrer Komfortzone, aber irgendwie schwingt immer etwas Skurriles, Absurdes, Komisches mit, das die Lesenden gern bleiben lässt.
Schon in den ersten brachialen Sätzen von Kurkows neuestem Romans verliert der junge Held Samson den Vater und sein rechtes Ohr an die säbelschwingenden Kosaken. Kiew 1919, eine spannende Zeit, die bis heute nachwirkt. In den Wirren nach der Russischen Revolution, in der die meisten versuchen, einen Platz zum Überleben innerhalb des neuen Systems zu finden, kämpft Samson zunächst mal um die Rückgabe eines requirierten Schreibtischs aus dem ehemaligen Arbeitszimmer seines Vaters. In dieses wurden gerade zwei Rotarmisten einquartiert, und der Schreibtisch hat seinen neuen Platz ausgerechnet in der örtlichen Polizeikommandantur gefunden. In den Schubladen befinden sich nicht nur wichtige Dokumente wie der Familienpass, sondern auch die Dose mit Samsons abgeschlagenem Ohr. Dieses, stellt er atemlos fest, lässt ihn nach wie vor alles hören, was in dessen Nähe gesprochen wird, egal, wie weit entfernt er selber ist.
Da er seine Forderung auf Rückgabe des Möbelstücks äußerst eloquent formuliert, wird er vom Fleck weg in den Polizeidienst engagiert.
Sein erster Fall hat es gleich in sich: seltsame Raubzüge, bei denen nur Silber gestohlen wird, ein ermordeter Schneider und ein dekadent-feiner Anzug in seltsamer Größe verlangen dem jungen Kommissar alles ab. Und dann sind da noch die Hausmeisterwitwe, die ihn unter die Haube bringen will und die zupackende Nadjeschda, die das Herz am rechten Fleck trägt und auch Samsons Verstand auf die Sprünge hilft.
Dies ist zwar kein Roman, bei dem einem vor Spannung der Atem stockt und man der Auflösung des Falls entgegenfiebert, doch alles in allem ist es ein äußerst gelungener Mix aus Krimi, Liebesgeschichte, Historienroman und Komödie.
Die feinsinnige Übersetzung von Johanna Marx und Sabine Grebing hat auch den typisch russischen Erzählduktus bewahrt, der sich vor allem in den Dialogen zeigt.
Große Leseempfehlung!