Schamland: Zu einseitig, plakativ und oberflächlich

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smartie11 Avatar

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In „Schamland“ versucht der Autor Stefan Selke der Frage auf den Grund zu gehen, wie Armut inmitten von Reichtum existieren kann. Keine leichte Kost also, wenn ich mir dieses Wortspiel an dieser Stelle kurz erlauben darf.
Schon das Lesen des Prologs empfand ich als anstrengend. Ich erlebe den Autor dabei als jemanden, der gerne beobachtet, den Zeigefinger hebt und auch mal anprangert. Dabei stellt sich Selke für mich gefühlt selbst auf ein Podest. Er betreibt „normativ (!) engagierte Gesellschaftsforschung“ und fertigt „eine detaillierte Analyse“. Herr Selke, wo sind die harten Fakten, auf der eine Analyse fußt? Dabei will Selke doch „dem Selbstlob eine fundiertere Perspektive“ entgegensetzen. Also ich finde, Selbstlob kann Herr Selke auch ganz gut!
Aber weiter im Text, über den Prolog hinaus. Ich lerne Menschen kennen, die Herr Selke kennen gelernt hat, lerne sie also indirekt und gefiltert kennen. Es sind Einzelschicksale, aber mit Sicherheit leider keine seltenen Schicksale. Dennoch frage ich mich, warum man mit Geldsorgen kettenrauchen muss. Ja, ich weiß, dass Rauchen eine Sucht ist. Aber ich kenne viele, die diese Sucht erfolgreich überwunden haben. Und das aus ganz unterschiedlichen Beweggründen. Und sollte das Stillen von Hunger und Durst nicht ein sehr dringlicher und erfolgversprechender Beweggrund sein? Und auch die Angewohnheit, sich einmal in der Woche im Café auf ein Stück Kuchen und eine Tasse Kaffee zu treffen, passt für mich nicht ganz ins Bild. Bei üblichen Café-Preisen dürfte hierfür pro Woche ein Betrag von ca. 10 Euro verwendet werden. Ich wage zu Behaupten, dass man mit 10 Euro bei umsichtigem Einsatz im deutschen LEH mindestens alle notwendigen Zutaten für zwei- bis drei vollwertige, reichhaltige und auch noch gesunde Hauptmahlzeiten bekommt. Und warum trifft man sich im Freundeskreis nicht zu Hause, bei selbstgebackenem Kuchen und einem guten Filterkaffee?
Was mich aber am meisten an „Schamland“ stört, ist die einseitige, plakative und oberflächliche Art, mit der Herr Selke das Thema „aufarbeitet“. Gar keine Frage, das Thema des Buches ist ein sehr wichtiges Thema, an dem die Gesellschaft, jeder Einzelne (Altersvorsorge!), arbeiten muss. Missbrauch der Sozialsysteme (in nahezu allen Gesellschaftsschichten!) auf der einen Seite, Scham und Zurückhaltung auf der anderen Seite bei denjenigen, für die diese Systeme eigentlich gedacht sind. Keine Frage, es besteht dringender Handlungsbedarf! Aber wo sind eigentlich die harten, nachprüfbaren Fakten in „Schamland“? Ich bin ein Mensch, der Fakten liebt. Und genau die fehlen mir in Selkes Schamland. Es wird von „Grundsicherung“ gesprochen, aber nicht wie hoch sie ist (was sicherlich nicht jeder Leser sofort im Kopf hat). Es wird auch keine Rechnung aufgemacht, wieviel Einkommen ein Mensch in Deutschland benötigt, um ein Leben ohne „Scham“ zu führen, um beim Wording des Autors zu bleiben.
Und welche Ideen steuert Herr Selke bei, um etwas zu Verändern? Was kann man anders, ja was kann man besser machen? Und vor allem wie? Nur zu klagen hilft auch nicht weiter! Und dass der Sozialismus auch nicht nachhaltig funktioniert, hat die Geschichte ja gleich mehrfach bewiesen!
Last but not least erstaunt es mich auch, das der anscheinend selbst ernannte „Gutmensch“ Selke (so kommt er für mich nach dem Lesen der LP zumindest `rüber) die Gesellschaft selbst in Klassen einteilt. Ich zitiere: „Wer als Studierender in einer Wissensgesellschaft zu einer Tafel gehen muss, fühlt sich gleich doppelt ausgegrenzt.“ Tut mir Leid: Sechs, setzen!