Es ist nichts so fein gesponnen…

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kleine hexe Avatar

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Linda Graze versteht es den Leser zu packen und bis zur letzten Seite nicht mehr loszulassen. Wobei in diesem Falle die letzten Seiten besonders lecker sind, ich werde das Rezept von Waltraud Schmälzle auf jeden Fall nachbacken. Und danach einen anderen „Tortenheber“ als auf dem Titelfoto benützen…
Aber zurück zum Krimi: Auf der ersten Seite behauptet Justin Schmälzles, bei der ersten Leiche das Motiv zu finden sind direkt prophetisch. Lange Zeit scheint es unklar, wieso, aber letzten Endes stimmt es. Zwischen der Frauenleiche, die seit gut 150 Jahren im Moor lag und den gegenwärtigen Problemen des Schnapsbrenners Willi Hauck scheint es keine Verbindung zu geben. Und hier greift Linda Grazes kriminalistisches Geschick ein. Langsam in kleinen Schritten erfahren wir was damals, im Mai 1869 geschah. Eine Frau wagte es aus den Fesseln einer ungeliebten Ehe und einer einengenden und oppressiven Gesellschaft auszubrechen. Doch sie wird nie den Schwarzwald verlassen. Der Gerichtsmediziner Lothar und Archäologen finden die Todesursache heraus, finden was sie bei sich trug, kommen mit ihren Vermutungen der Wahrheit ziemlich nahe. Kommissar Justin Schmälzle, Postenleiter Harald Scholz, Polizeiassistentin Leonie sowie die Putzfrau Frau Meichle ermitteln peu á peu in den Streitigkeiten zwischen dem Notar Andreas Langner und Willi Hauck. Wie es scheint, versucht jemand mit aller Macht den Notar zum Aufgeben seiner Baupläne zu bewegen. Drohbriefe, zerstochene Reifen, Körperverletzung, die Bedrohungen eskalieren von Mal zu Mal. Und doch hat Willi Hauck jedes Mal ein unwiderlegbares Alibi. Dass sich Hauck absolut unkooperativ zeigt und die Ermittler an der Nase herumführt lässt ihn verdächtig erscheinen. Hinzu kommen die illegal von Hauck verschobenen Grundstückgrenzen und die Errichtung eines Gebäudes halb auf dem nachbarlichen Boden, es sieht nicht gut aus für Willi Hauck. Die Lösung liegt 150 Jahre zurück. Untaten der Vergangenheit rächen sich in der Zukunft.
Ich habe die Sprache in diesem Buch geliebt. Die Dialoge sind in der schwäbischen Mundart, gemäß dem Slogan von Baden-Württemberg: „Wir können alles. Außer Hochdeutsch“ sind die gesprochenen Passagen pures bezauberndes Schwäbisch. Interessanterweise sind die inneren Monologe von Martha im 19 Jahrhundert auf Hochdeutsch, sobald sie aber mit dem Pfarrer oder Sophie spricht, ist es Mundart. Das macht sie lebendig vor unseren Augen, lässt ihren Ausbruchversuch so tragisch erscheinen.
Kommissar Justin Schmälzle hat haitianische Wurzeln und deshalb dunkle Hautfarbe. Von seinen Mitmenschen bewusst oder auch achtlos hingeworfene Äußerungen interpretiert er von der rassistischen Seite, und lässt uns dadurch innehalten und überlegen. Er hat Recht, in vielen unserer Aussagen ist versteckter Rassismus drin. Vor Coloured People aus beiden Amerikas oder der Karibik scherzhaft von Sklaven zu sprechen ist nicht angebracht. Andererseits kannte Schmälzle anscheinend den Begriff der Leibeigenschaft als eine Form der Sklaverei nicht.
Ich hoffe, das Ermittlerquartett bleibt uns für noch einige spannende Krimis erhalten, ha ja!