Pageturner

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Mein Eindruck vor der Lektüre:

Die Leseprobe fand ich außergewöhnlich gut, beginnend mit dem Vorwort des Autors, der so sauber und redlich arbeitet, als sei sein Roman ein wissenschaftliches Werk. Mit Fußnoten und allem Pipapo! Daher kann man als Leser noch tiefer in die Materie eintauchen, wenn man dies wünscht.
Es liegt hier ein historischer Kriminalroman vor. Der Autor hat das Quellenmaterial in eine spannende, lesenswerte und vor allem lesbare Form gegossen.
Handlungsort: Schottland 1869. Ausgangsmaterial: die Aufzeichnungen des 17-jährigen Roderick. Verbrechen: Er ermordete auf sehr brutale Art und Weise drei Menschen in seiner Heimatstadt.

"Sein blutiges Projekt" möchte ich unbedingt lesen, da dieser Thriller im Gegensatz zu vielen anderen auch eine literarische Qualität hat.

Mein Fazit nach der Lektüre:

Der gute Ersteindruck hat mich nicht getäuscht, er wurde sogar noch übertroffen! Der Autor erklärt vorab seine Vorgehensweise en détail, etwa, dass er sich erlaubt habe, den Originaltext in Absätze zu unterteilen, ansonsten aber groß nichts verändert habe. Sehr hilfreich fand ich die Fußnoten und Erläuterungen des Autors etwa zu den Spitznamen („Black“), da ich mit den Gepflogenheiten der schottischen Highlands zu der damaligen Zeit nicht vertraut bin.
Sehr spannend fand ich die kontrastierende Darstellung, so werden etwa Zeugenaussagen von verschiedenen Personen unkommentiert dokumentiert, dem aufmerksamen Leser entgehen Widersprüche indes nicht. Auch die Aufzeichnungen des Beschuldigten selbst lesen sich sehr interessant, es entsteht der Eindruck eines hochintelligenten Kindes vom Land. Doch wie steht es um Sozialkompetenz und Empathiefähigkeit? Der Roman besteht aus zwei Teilen und kommt als hybrides Konstrukt daher – fact meets fiction. Denn – gab es die Figuren wirklich? In Film und Literatur wird oft Wahrheit beschworen, wo keine ist, ich denke etwa an die Serie Fargo – ‘a true story‘ (mitnichten!).
Ich liebe das Stilmittel des unreliable narrator. Der Autor macht ausgiebig Gebrauch davon. Der Roman ist sehr gehaltvoll: Sozialstudie und -kritik, Psychogramm und Religionsskeptizismus, eine kleine Geschichte der medizinisch – psychiatrischen (Fehl)urteile. Und auch das Genre des Gerichtsdramas wird bedient. Vor allem ist das die Antithese zur romantisierten Familienchronik, denn hier ist die Familiengeschichte auf den ersten Blick kein Ruhmesblatt. Obwohl der Autor aufzeigt, wie Umweltfaktoren als tragischer Katalysator dienen können, etwa eine ungünstige Familienkonstellation (früher Tod der geliebten, heiteren Mutter, despotischer Vater, ökonomische Abhängigkeit), ist seine Darstellung doch ausgewogen. Völlig zu Recht ist „sein blutiges Projekt“ für den Man Booker Prize nominiert worden. Burnet überzeugt sowohl stilistisch als auch inhaltlich, erzeugt eine fesselnde, spannende Atmosphäre. Man fiebert beim Lesen regelrecht mit.
Ich vergebe die volle Punktzahl und empfehle „Sein blutiges Projekt“ zur Lektüre!