Düster und traurig

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Glasgow in den 80er Jahren: Hugh "Shuggie" Bain ist anders als andere Jungen, er ist zart und feminin, fantasievoll und tanzt gerne. In der harten, grauen und schmutzigen Welt des Glasgows der Thatcher-Ära, in der gerade viele Männer aufgrund der Wirtschaftsreformen ihre Arbeit verloren haben, geht Shuggie unter. Auch von seinem Vater, "Big Shug", dem Männlichkeit über alles geht, hat er keinen Rückhalt zu erwarten. Einzig seine schöne, schillernde Mutter versteht ihn. Shuggie liebt sie abgöttisch - doch er droht, sie an ihre Alkoholsucht zu verlieren...

Douglas Stuarts Debütroman "Shuggie Bain" ist düster und grausam, er porträtiert die schlimmsten Seiten der Menschen und schafft ein eindrückliches Bild von Armut, Arbeitslosigkeit und Alkoholismus. Die Lesenden begleiten den Protagonisten Shuggie durch seine Kindheit, die er bei seiner alkoholabhängigen Mutter in schäbigen und heruntergekommenen Wohnungen verbringt. Sein Leben ist geprägt von der Brutalität und Gewalttätigkeit der Kindern und Erwachsenen in seinem Umfeld, er wird mehrfach verprügelt, vergewaltigt und verbal fertig gemacht. Licht fällt selten in seine Zeit als Kind - am ehesten dann, wenn seine Mutter nüchtern ist, was nur sporadisch vorkommt. Auch sie behandelt ihn wahlweise wie Luft oder konzentriert ihre herumflackernde Wut auf ihn. Shuggie versucht hingegen unermüdlich, für sie da zu sein, versteckt an schlechten Tagen die Rasierklingen und hält sie von Fenstern fern und tanzt an guten mit ihr durch die Wohnung.

"Shuggie Bain" hat mich fertig gemacht - vor allem vor dem Hintergrund, dass der Autor sich hier an seine eigene Kindheit erinnert. Er mischt somit Realität mit Fiktion, lässt ein Stück seiner Queerness in Shuggie fließen und einen Teil seiner immer wieder zur Flasche greifenden Mutter in Agnes wieder auferstehen. Der Roman ist dabei absolut schonungslos, es gibt kaum "erholsame", schöne Momente für die Lesenden. Sämtliche Figuren im Buch sprühen vor Bosheit und leben diese ganz offen aus - seien das nun die Kinder, die gegen Shuggie die Hand erheben, der Taxifahrer, der sich an ihm vergeht, die Nachbarinnen, die sich gegenseitig fertig machen oder "Big Shug", bei dem häusliche Gewalt auf der Tagesordnung steht. Zu dieser Grausamkeit gesellt sich das Elend der Armut und Arbeitslosigkeit, sie schließen einen Bund der Realität der ärmlichen Gegenden des Glasgows der 80er Jahre.

Ich konnte mit dieser alles umfassenden Dunkelheit im Buch schwer umgehen. Mich hat jede Seite mehr heruntergezogen, ich wurde beim Lesen immer trauriger und niedergeschlagener. Das ist aber keinesfalls schlecht, denn wenn ein Roman es schafft, so tiefe Emotionen hervorzurufen, die ich danach auch weiter durch den Tag trage, ist er vor allem eines: Sehr gut geschrieben und übersetzt. Die Übersetzerin Sophie Zeitz überträgt die sprachliche Gestaltung in "Shuggie Bain" in einen lokal nicht zuordenbaren Dialekt, der die ärmliche Arbeiterklasse im Roman für mich perfekt widergespiegelt hat.

Meine Empfehlung wäre, "Shuggie Bain" nicht in Zeiten zu lesen, in denen es euch sowieso schon nicht so gut geht. Denn dieser Roman wird euch sicherlich nicht kalt lassen und sehr mitnehmen. Gerade im Hinblick darauf, dass der Autor hier ein großes Stück seiner eigenen Geschichte preisgibt sowie ein Trauma verarbeitet und queere Protagonist*innen in der (deutschen) Literaturwelt doch noch häufig unterrepräsentiert sind, möchte ich für dieses Buch werben. Man sollte nur wissen, worauf man sich einlässt.