Grauer Beton, rauer Jargon

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
flausenherz Avatar

Von

Glasgow in den 1980er Jahren: Die Arbeiterklasse ist gebeutelt von der Thatcher-Politik, Armut, Gewalt und Trostlosigkeit bestimmen den Alltag in den verwahrlosten Vierteln der Stadt. Agnes Bain will ein aufregendes, vielleicht glamouröses, auf jeden Fall besseres Leben und verlässt ihren bodenständigen, katholischen Ehemann für den aufschneiderischen Blender "Big Shug". Obwohl sich ihre Träume in Enttäuschung auflösen, stellt sich Agnes der grauen Tristesse erhobenen Hauptes und mit einem makellosen Äußeren, während Alkoholsucht, Geldnot und die toxische Beziehung zu Shug immer wieder an ihrer Würde zerren. Sie aus den Fängen des Alkohols zu retten ist Shuggies einziger Wunsch. Shuggie, der Nachzügler der Familie, der früh Verantwortung übernehmen muss, während er selbst wenig Halt und elterliche Führung erlebt. Er opfert sich bedingungslos auf, dabei hat er selbst genug zu kämpfen in einer Welt, in der er sich nie richtig und "normal" fühlt. Zart und einfühlsam hat er einen Sinn für das Schöne und Besondere in einer harten, erbarmungslosen Welt und muss dafür viel wegstecken ohne sich jemandem anvertrauen zu können.

Der Roman hat einen düsteren Grundton, der mich, angereichert mit vielen visuell einprägsamen Details, direkt in die Schauplätze hineinziehen konnte - die brachliegenden Flächen des Kohleabbaus, die raue, unsolidarische Nachbarschaft in Pit Head und die schäbigen Hochhausviertel in Glasgow. Shuggies Liebe für Agnes, aber auch die Kämpfe, die er inmitten seines Heranwachsens immer wieder ausfechten muss, haben mir das Herz zerrissen. Schonungslos führt uns Stuart in die Abgründe einer abgehängten Gesellschaft, die geprägt ist von Gewalt, sexuellem Missbrauch und Abhängigkeit. Dennoch gelingt es ihm, auch feine Lichtstrahlen zu zeichnen, die hoffnungsvoll durch das Grau schimmern.

Der schottische Akzent wurde in der Übersetzung von Sophie Zeitz in schludrigen Berliner Akzent verwandelt, was ich erst gewöhnungsbedürftig, dann aber doch gelungen fand. Im Laufe der Geschichte wird klar, dass eine Abgrenzung zum Hochdeutschen (oder im Original zum Queen's English) sogar unbedingt notwendig ist, da die Tonalität der verschiedenen Personen auch im Buch thematisiert wird. An dieser Stelle wäre das englische Original sicher spannend zu lesen und mit der Übersetzung zu vergleichen.

Tolle Übersetzung und großartiges Buch, das völlig zurecht den Booker Prize 2020 bekommen hat.