Wilde Träume und Dämonen

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bobbi Avatar

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Als ihre geliebte Mutter stirbt, flieht die 18-jährige Erica aus dem grauen London und vor dem gewalttätigen Vater auf die sonnendurchflutete, bunte griechische Insel Hydra. Eine scheinbare Idylle, ein Theater für Träumer im Jahre 1960 – finden sich dort zahlreiche junge Kreative aus der Welt zusammen, um zu schreiben, zu malen, zu lieben und das Leben zu genießen. Erica selbst ist mit ihrem Freund Jimmy, ihrem Bruder Bobby und weiteren Freunden angereist – im Kreise der australischen Schriftstellerin Charmian Clift und ihrem Ehemann George Johnston treffen sie auch auf den charismatischen, jungen Leonard Cohen und Marianne Ihlen.

Polly Samson entführt uns in einen heißen, berauschenden Hippie-Sommer mit bildgewaltiger, assoziativer Prosa – es duftet nach Thymian, Wildblumen, Moussaka, die pinkfarbene Bougainvillea, die weißen steilen Gassen, das Meer, den Retsina, die sonnengebräunte Haut hat der Leser buchstäblich vor Augen. Ja, Hydra spielt hier eine Hauptrolle, aber auch die bunte Künstlergruppe – Liebschaften, Wünsche, Enttäuschungen. Samson mischt wahre Biografien wie die Liebesgeschichte zwischen Leonard und Marianne mit fiktiven Handlungen. Schnell reiht sie Bild an Bild, Charakter an Charakter und doch zieht sich der Roman trotz wunderschönen Beschreibungen etwas in die Länge – es fehlt ein richtungsgebender Plot. Es geht um die beobachtende, junge Erica, die ihren Weg im Leben noch sucht und mitten in der schmerzhaften Trauerverarbeitung steckt – erst angetan von der Freiheit und dem Lebensgefühl in der Kommune, schleichen sich auch Dämonen in die hitzedurchflutete Idylle. Eifersucht, Affären, zerbrochene Lieben, Erfolglosigkeit in der Kunst. Der Schein trügt und das Traumtheater kann nicht für immer aufrecht erhalten werden, ist Hydra noch so schön. Eine schöne und gelungene Abrundung ist der letzte Teil des Romans: Erica kehrt nach vielen Jahren zurück auf die Insel und lässt alles nochmal an sich vorbeiziehen, schwelgt in Erinnerungen – beispielsweise an den dann weltberühmten und mittlerweile verstorbenen Cohen.

Ein Roman wie ein wilder, langer Sommertraum, aus dem man etwas zwiegespalten aufwacht.