Gefangen in einem fremden Leben

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caillean79 Avatar

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Nele Löwenbergs (bzw. Neuhaus`) Erzählkünste sind wirklich phänomenal. Nach nur wenigen Seiten ist man mittendrin in der Geschichte und kann die Leseprobe kaum noch aus der Hand legen. Sie trifft den Charakter des unverstandenen und rebellischen Adoptivkinds Sheridan auf den Punkt, ohne dass das Mädchen naiv oder einfach nur trotzig wirkt. Das fand ich sehr beeindruckend. Sheridan hatte ja leider keine einfache Kindheit. Zu jung, um den Tod der Eltern wirklich begriffen zu haben, aber immer mit der unterschwelligen Frage im Kopf „Was wäre gewesen, wenn…?“ Sie vermisst Eltern, an die sie kaum Erinnerungen hat und in den Zwängen der strengen Erziehung des mittleren Westens erträumt sie sich ihre Bilderbuchfamilie. Klar, dass sie das als Teenager unzufrieden macht und sie das Gefühl hat, in einem fremden Leben gefangen zu sein, ein Leben, das gar nicht für sie bestimmt ist.

Wie gesagt, der Schreibstil ist toll und vereinnahmt den Leser schon auf den ersten Seiten. Zwischendrin allerdings, als Sheridans Freunde und später die Bewohner der Farm und des Städtchens beschrieben werden (und die Zusammenhänge zwischen ihnen), war das für mich ein wenig zu viel Input auf einmal. Ich würde wohl öfters zurückblättern müssen, um nochmal nachzulesen, wer denn nun wer ist und wo derjenige „hingehört“. Vielleicht hätte man das ein wenig besser lösen können und die Charaktere erst später einführen sollen, wenn sie das erste Mal wirklich auftauchen?

Aber davon abgesehen, verspricht „Sommer der Wahrheit“ eine wirklich spannende Geschichte über das Erwachsenwerden zu sein, in die man eintauchen kann und die Welt um sich herum vergisst. Schön, dass Frau Neuhaus gewagt hat, mal etwas ganz anderes zu machen – es scheint, als müsse sie keineswegs Krimis schreiben, um gute Geschichten hervorzubringen.

Ich bin super gespannt auf diesen Roman!