Hinter jedem Dach ein Ach

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jdaizy Avatar

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"Jetzt putzen Sie sich mal die Nase." Maria Schneiders Stimme klang überraschend streng, und Caro tat, wie ihr geheißen. Dann nahm die alte Dame ihren Kopf zwischen die Hände, so dass Caro ihr in die Augen schauen musste. "Und jetzt hören Sie mir mal zu: Probleme sind wie Unkraut. Entweder man geht dagegen an, oder sie wachsen einem irgendwann über den Kopf. Aber was Sie bestimmt nicht weiterbringt, ist Selbstmitleid."


Caro Winter war immer der Liebling ihres Vaters. Schon von klein auf hat er seine kleine Prinzessin gegen die größeren Brüder und gegen alles Böse in der Welt verteidigt und ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Doch plötzlich wendet sich das Blatt. Mit 43 Jahren wendet sich ihr Vater von einem Moment auf den anderen von seiner Tochter ab. Der Kontakt bricht nach einem Streit über ein Jahr vollkommen ab. Doch jetzt steht die goldene Hochzeit der Eltern auf dem Plan und alle rechnen fest mit Caros Besuch und einer Versöhnung.
Wird es Caro schaffen ihren Vater gegenüberzutreten? Wird sie, wie von ihrer Mutter gefordert, ihre eigenen "Befindlichkeiten" hintenanstellen können und sich mit ihrem Vater aussöhnen? Und was war passiert, dass es überhaupt soweit kommen konnte?

In ihrem Roman "Sonntags fehlst du am meisten" erzählt die Autorin Christine Drews eine
tief zu Herzen gehende Familiengeschichte, in deren Mittelpunkt eine generationsübergreifende Vater-Tochter-Beziehung thematisiert wird. Durch ein Unglück verändert sich Caros Leben von einen auf den anderen Moment und es zerbricht nicht nur die tiefe, ihr immer Halt gegebene Bindung zu ihrem Vater, sondern auch ihre Ehe. Ihr Leben ist ein einziges Trümmerfeld. Und obwohl Caro es aus eigener Kraft schafft, den Kopf über Wasser zu halten, ziehen ihre inneren Selbstzweifel und ihr angekratztes Ego sie immer wieder nach unten. Ihr Vertrauen und ihr Selbstwertgefühl sind zutiefst verletzt. Und das nicht erst seit diesem alles verändernden Tag.
Mit Hilfe von Jakob und Maria macht sich Caro auf die Suche nach der Vergangenheit ihrer Familie und auf die Suche nach sich selbst. Wer bin ich wirklich? Was will ich? Und kann ich es aus eigener Kraft schaffen, meinem Leben wieder auf die richtige Bahn zu bringen?

Caro ist eine Protagonistin, die man gern haben kann, die aber auch Ecken und Kanten hat. Auch wenn ich mit ihren Problemen selbst zum Glück noch nie konfrontriert war, gibt es Momente, in denen ich mich ihr sehr nahe gefühlt habe. Man spürt ihre Verunsicherung und ihre Suche nach Anerkennung und Liebe stark zwischen den Zeilen. Ich habe das Buch kaum aus der Hand legen können. Die wechselnden Perpektiven zwischen Vater und Tochter und zwischen den unterschiedlichen Zeiten machen es dem Leser möglich, nach und nach zu verstehen, was sich ereignet hat und warum jeder so ist wie er ist. Mich hat das alles sehr zum Nachdenken angeregt und wieder einmal gezeigt, dass man nicht auf den ersten Blick vorschnell eine Meinung über andere fällen, dass man immer wieder mal die Perspektive wechseln und über den Tellerrand schauen sollte.
Im letzten Drittel des Buches verliert das Buch ein bisschen an Fahrt und Intensität. Aber das ist nur mein subjektives Empfinden und hat den Lesegenuss nicht geschmälert. Mir hat das Buch sehr gut gefallen und ich kann es mit gutem Gewissen weiterempfehlen.

Meine heimliche Lieblingsfigur ist und bleibt Maria Schneider. Die rüstige, resolute Rentnerin mit dem Herz am richtigen Fleck rückt Caro nicht nur einmal den Kopf wieder gerade. Außerdem gefällt mir die Idee mit der Senioren-WG ausgesprochen gut. So etwas sollte es auch im realen Leben viel viel öfter geben.

Das Buch wurde als Taschenbuch mit erweiterten eingeklappten Umschlagflächen im September 2017 im Ullstein-Verlag veröffentlicht. Auf 288 Seiten sind die einzelnen Kapitelüberschriften der Brockhaus Enzyklopädie entnommen. Eine schöne Idee, weil einem dieser Bücher eine ganz besondere Bedeutung im Buch zukommt. Auch die einzelnen Erzählstränge sind mit der Angabe der Jahreszahlen gut voneinander zu unterscheiden und ich habe wirklich bis zum Ende mitgefiebert, wie sich alles Stück für Stück ineinander fügt.
Auch das Cover finde ich sehr ansprechend. Man sieht vermutlich die junge Caro mit ihrem Vater. Beide sind glücklich und unbefangen und genießen den gemeinsamen innigen Moment. Was muss passieren, dass diese enge Vater-Tochter-Beziehung solch tiefe Risse bekommt. Das war mein erster Gedanke als ich den Text auf der Rückseite des Buches gelesen habe. So darf es sein: Ein Buch das neugierig macht, wenn man es in die Hand nimmt, ohne dabei zuviel zu verraten.


Fazit:
Eine sehr bewegende, zu Herzen gehende Vater-Tochter-Geschichte, die zeigt, dass im Leben nicht alles so ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Und das man nicht immer nur sich selbst sehen darf, sondern auch das große Ganze im Auge behalten sollte. Familie kann man sich nicht aussuchen. Aber auch wenn nicht alles einfach ist, sollte man froh sein, dass man sich hat.