Gefangen im Bann des blauen Stoffes

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"Kurz gesagt, Stella war ein gewöhnliches Mädchen,das ein außergewöhnliches Stück verzauberten Stoffes besaß. Nun sollte man unbedingt wissen, dass dieser Stoff nicht verzaubert im Sinne von magisch war. Er konnte einen nicht unsichtbar machen oder schöner, als man ohnehin schon war, und er konnte einen Prinzen auch nicht in einen Frosch verwandeln oder einen Frosch in einen Dinosaurier. Trotzdem übte der Stoff auf jeden, der ihn besaß, eine ganz besondere Wirkung aus, denn seine Falten bargen die Kraft, das Leben und die Geschichten seiner Besitzer einzufangen. Das brachte natürlich eine große Verantwortung mit sich, denn wer den Stoff besaß, besaß auch seine Geschichten. So ist es immer gewesen – schon seit aus dem Stoff vor ungefähr
hundert Jahren ein Wandbehang gemacht worden war. Dieses Buch erzählt seine Geschichte und das Schicksal einer Familie und eines Mädchens, die in seinem Bann standen."

Ein Stück Stoff erzählt Geschichten. Das ist für diejenigen die Geschichten aus der Geschichte mögen nichts neues. Der verschlissene Bezug eines Sessels in einem Schlossmuseum kann eine solche Geschichte erzählen. War er für die Dame des Hauses wirklich bequem? Hat sie darauf angenehme oder unangenehme Stunden verbracht? Das kurze Himmelbett des Herrschers. War er wirklich so klein? Und hat ihn er Himmel über dem Bett, so dicht über seinem Kopf nicht eher erdrückt als behütet? Ich stelle mir immer vor, was die Zimmer, die Möbel ja selbst die Kleidungsstücke in alten Häusern oder Schlössern wohl erzählen könnten. Nichts anderes hat Holly-Jane Rahlens in ihrem Buch "Stelle Menzel und der goldene Faden" gemacht. Stoff aus dem Geschichte wird. Magisch ist das in jedem Fall, auch wenn die Autorin schreibt das der Stoff keinesfalls verzaubert ist.

Verzaubert hat mich das Buch schon während der kurzen Leseprobe. Als neben meinem Laptop das Telefon klingelte, schreckte ich aus tiefer Versunkenheit auf. "Da sind immer noch Flecken!», sagte sie schließlich und zeigte auf ein paar Stellen. «Cranberrysauce. Thanksgiving. 1959», sagte Josephine. «Damals war es eine Tischdecke. In New York.» «Und die weißen Flecken?», wollte Isabel wissen. «Schuhcreme. 1949." Nicht nur Stella möchte von Großmutter Josephine die Geschichten hören. Ich möchte Sie lesen und vor allem vorlesen. Als Lesepatin für 6 bis 10jährige scheint mir dieses Buch ein wahres Schatzkästchen zu sein. Kinder lieben Geschichten mit ein bisschen Magie, die man ohne weiteres auch im eigenen Alltag entdecken kann. Und ich liebe es, sie auf diese Magie aufmerksam zu machen.