Biografie eines Mörders

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buecherfan.wit Avatar

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Thomas Raabs neuer Roman “Still” beginnt mit einem Paukenschlag: “Der Tag, an dem Karl starb, war ein guter Tag.” (S. 9). Sofort möchte der Leser wissen, wieso der Todestag eines Menschen ein guter Tag sein kann. Was hatte es mit diesem Karl Heidemann auf sich?

Dann wird Karls Geschichte vom Augenblick seiner Geburt an erzählt, aber auch der familiäre Hintergrund von Eltern und Großeltern. Er wird am 6.12.82 als erstes Kind von Johann und Charlotte Heidemann geb. Auböck geboren. Während sein Vater so wenig spricht, dass er für leicht schwachsinnig gehalten wird, ist seine Mutter so geschwätzig, dass niemand mehr ihren mit schriller Stimme vorgetragenen Tratsch hören will. Anfangs sind die Eltern glücklich und freuen sich auf die Geburt ihres ersten Kindes, aber dann kommt alles anders als erwartet. Der Säugling lehnt seine Mutter schon im Mutterleib, erst recht vom Tag seiner Geburt an ab und schreit nahezu ununterbrochen. Charlotte ist bald mit ihrer Kraft am Ende. Nur in Johanns Armen bei stundenlangen abendlichen Märschen wird das Kind ruhig. Erneut werden die Heidemanns gemieden. Charlotte fürchtet, dass man ihr die Schuld an dem unerträglichen Verhalten des Säuglings gibt. In Wirklichkeit glauben die Bewohner von Jettenbrunn, dass etwas mit seinem Kopf nicht stimmt, dass er sogar vom Teufel besessen sein könnte. Eines Tages sieht Charlotte keinen anderen Ausweg, als ihren Sohn in der Badewanne zu ertränken. Er überlebt offensichtlich, sonst gäbe es diese Geschichte nicht.

Die Leseprobe liest sich gut, vor allem wegen der sprachlichen Qualität des Romans, aber auch wegen des Themas. “Chronik eines Mörders” lautet der Untertitel, und der Roman scheint sich um die zentrale Frage zu drehen, was einen Menschen zum Mörder macht. Ist irgendjemand Schuld daran, dass Karl von Anfang an so anders ist als andere Kinder und dass er diesen Weg geht? Mir hat schon “Der Metzger geht fremd” gut gefallen, und ich finde diesen Romananfang ausgesprochen interessant und vielversprechend.